Die Arbeitszeit im Wandel - neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung im Bertelsmann Club Stuttgart


Diplomarbeit, 1998

91 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

I. Die Darstellung der Arbeitszeit im Wandel - von der Historie bis zur Gegenwart
1. Die Geschichte der Arbeitszeit
1.1 Der allgemeine Wertewandel beeinflußt die Arbeitszeit
1.2 Arbeit, Leben, Zeit - Arbeitszeit ist Lebenszeit
1.3 Die Arbeitszeit als Wettbewerbsfaktor

II. Arbeitszeitflexibilisierung geht alle an - Herausforderung für Unternehmen, Belegschaft, Gewerkschaften und Betriebsräte
1. Arbeitszeitflexibilisierung - Wegweiser für eine zukunftsorientierte Wirtschaft
1.1 Arbeitszeitflexibilisierung - Begriff und Potential
1.2 Wer will flexible Arbeitszeit?
1.2.1 Die Unternehmen
1.2.2 Die Erwerbstätigen
1.3 Mehr Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung durch gemeinsames Handeln aller Beteiligten
1.3.1 Das Management - seine Bedeutung und Rolle bei der Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung
1.3.1.1 Das Management - Begriffserklärung
1.3.1.2 Anforderungen an das Management
1.3.2 Die Belegschaft als aktiver Mitgestalter der Arbeitszeitflexibilisierung
1.3.3 Der Betriebsrat - Mitbestimmung bei Entscheidungen, Sicherung der Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen
1.3.3.1 Vom Gesetzgeber festgelegte Betriebratsaufgaben
1.3.3.2 Der Betriebsrat als Triebkraft der Flexibilisierung der Arbeitszeit
2. Arbeitszeitflexibilisierung in der Praxis
2.1 Das Arbeitszeitmodell der Landert-Motoren-AG
2.1.1 Kurzbeschreibung des Unternehmens
2.1.2 Ziel und Wesen des Landert-Arbeitszeit-Modells
2.1.3 Gleitzeit und individuelle Arbeitszeit
2.1.4 Die praktische Durchführung
2.1.5 Die Vorteile individueller Arbeitszeitvereinbarungen
2.1.6 Erfahrungen, Schlußbemerkungen
2.1.7 Bewertung des Arbeitszeitmodells
2.2 Das Arbeitszeitmodell der Weltbild Verlags GmbH Augsburg
2.2.1 Das Unternehmen
2.2.2 Ziele der verschiedenen Arbeitszeitmodelle
2.2.3 Das flexible Werkstudentenmodell
2.2.4 Die flexible Arbeitszeit im Angestelltenbereich
2.2.5 Bewertung der Arbeitszeitmodelle
2.3 Das Arbeitszeitmodell der Kundenbetreuung der Best!Seller Medienversandhandel GmbH Stuttgart
2.3.1 Die Aufgaben und das Ziel der Kundenbetreuung Best!Seller
2.3.2 Die Arbeitszeitmodelle in der Betreuung Best!Seller
2.3.3 Die praktische Durchführung
2.3.4 Bewertung des Arbeitszeitmodells

III. Neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung im Bertelsmann Club Stuttgart
1. Kurzbeschreibung des Unternehmens
2. Aufgaben und Ziele
3. Ist-Analysen und deren Bewertung
3.1 Arbeitszeit
3.2 Arbeitsvolumen der Korrespondenzabteilungen
3.2.1 Ist-Analysen Jahr 1996
3.2.2 Ist-Analysen Jahr 1997
4. Schlußfolgerungen aus dem IST-Stand
4.1 Zusammenfassende Bewertung der vorhandenen Arbeitszeitmodelle
4.2 Zusammenfassung und Auswertung der IST-Analysen der Jahre 1996 und 1997
4.3 Welche Ziele lassen sich aus dem IST-Stand ableiten?
5. Zwei neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung
5.1 Das Konzept der flexiblen Standardarbeitszeit
5.1.1 Probleme und Hindernisse
5.1.2 Lösungsvorschläge und Empfehlungen
5.2 Das Konzept des Ampel-Modells
5.2.1 Probleme und Hindernisse
5.2.2 Lösungsvorschläge und Empfehlungen
5.3 Beide Modelle im Vergleich
6. Empfehlungen für die Realisierung eines neuen Arbeitszeitmodells
6.1 Empfehlungen für das Management
6.2 Empfehlungen für den Betriebsrat
6.3 Was kann die Belegschaft tun?
7. Schlußfolgerungen und Ausblick

Literaturverzeichnis

Dank

Die vorliegende Arbeit zu realisieren war für mich eine große Herausforderung in fachlicher und zeitlicher Hinsicht. Deshalb gilt mein Dank allen, die mir in der vergangenen Zeit mit Informationen und Ratschlägen die Ideensammlung und die abschließende Fertigstellung ermöglichten.

Mein besonderer Dank gilt meinem Mann und meinen Eltern, die mir in jeder Situation den Rücken stärkten.

Für die fachliche Unterstützung danke ich meinem Betreuer, Herrn Prof. Dr. Göhler, der mich mit wertvollen Hinweisen auf den Weg brachte, mir aber jederzeit freie Hand für eigene Ideen ließ.

Nicht zuletzt gilt mein Dank Frau Wagner, die mir das Konzept ins Reine übertragen hat.

Stuttgart, 19. Januar 1998 Renate Blaß

Problemstellung und Zielsetzung

Die wirtschaftliche Entwicklung der heutigen Zeit ist geprägt von technischen und strukturellen Umwälzungen, dem Wandel von Wertvorstellungen, Diskontinuitäten in der Marktentwicklung, Konkurrenzdruck und ähnlichen Erscheinungen.

Diese Tatsachen erfordern nicht nur die ständige Weiterentwicklung von Produkten und Produktion, sondern auch in verstärktem Maße die Orientierung auf einen weiteren wichtigen Wettbewerbsfaktor: die Zeit.

Die Unternehmen erkennen die Bedeutung der Dimension Zeit als Wettbewerbsfaktor allgemein an und insbesondere die fortschreitende Flexibilisierung der Arbeitszeit. Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit sind sowohl für Unternehmen als auch für deren Beschäftigte elementare Größen für den wirtschaftlichen Erfolg einerseits und für Einkommen, Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten der Lebensgestaltung andererseits geworden.

Daraus ergeben sich drei zentrale Aufgaben, die der Verfasser in der folgenden Arbeit untersucht und Schlüsse für die Praxis zieht.

Erstens:

Die Darstellung der Arbeitszeit im Wandel - von den historischen Ansätzen bis zur Gegenwart. Aufgrund der Erkenntnisse aus zahlreichen Literaturquellen wird hier nur auf Fakten eingegangen, die dem Verfasser als besonders prägnant, allgemeingültig und repräsentativ erscheinen.

Zweitens:

Arbeitszeitflexibilisierung geht alle an! Wer sind die Beteiligten und wie werden bereits in der Praxis neue Modelle umgesetzt? Dabei wird die Rolle der Beteiligten genauso betrachtet wie die Analyse dreier völlig verschiedener flexibler Arbeitszeitmodelle, die im Konsens mit eigenen Erkenntnissen des Verfassers die Grundlage für den dritten Teil der Arbeit bilden.

Drittens:

Auf der Basis der Ergebnisse aus dem ersten und zweiten Teil werden zwei neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung des Bertelsmann Club Stuttgart erarbeitet und vorgestellt.

Den Hintergrund für die dreigeteilte Aufgabenstellung bilden zwei Hauptaspekte: zum einen der sich vollziehende Strukturwandel, die Technologisierung, die Internationalisierung bzw. Globalisierung der Industriegesellschaft. Und zum anderen resultiert die konkrete Aufgabenstellung für den Bertelsmann Club Stuttgart nicht zuletzt aus Fragen der Standortsicherung.

I. Die Darstellung der Arbeitszeit im Wandel - von der Historie bis zur Gegenwart

1. Die Geschichte der Arbeitszeit

Die gegenwärtige Diskussion um die Arbeitszeitgestaltung kann man nicht losgelöst von der Entstehungsgeschichte und dem damit verbun­denen historischen Aushandlungsprozeß der Arbeitszeit betrachten.

Historisch gesehen wird die Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeitszeit und deren Flexibilisierung wesentlich von vier Faktoren bestimmt:

1. dem Stand der technischen Entwicklung,
2. der Organisation der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital,
3. den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und
4. dem Verständnis von Arbeit, Leben und Zeit.

„Zu Beginn der Industrialisierung wurden die Arbeitszeiten maßlos aus­gedehnt. Schrittmacher der Arbeitszeitverlängerung waren die neu ent­standenen, mit Dampfmaschinen betriebenen großen Fabriken. Das Interesse an einer möglichst rentablen Nutzung des Maschinenparks trieben die Unternehmer zur ständigen Ausdeh­nung des Arbeitstages. Der ununterbrochene Betrieb der Maschinen war das Ideal der Zeit. Sonntags- und Nachtarbeit waren in vielen Branchen üblich.“[1]

Für die Arbeitnehmerschaft gab es keine geregelten Arbeitszeiten. Ein 12- bis 16-Stunden-Tag hat ihre Arbeitskraft regelrecht ver­schlissen. Die überlangen Arbeitstage boten kaum Zeit zur Erho­lung, also zur Reproduktion der Arbeitskraft. Von einer Weiter­bildung im Sinne, wie wir es heute verstehen, ganz zu schweigen. Doch der Widerstand der Beschäftigten war eher selten, weil ihnen die Fähigkeit zur Organisation und die damit verbundene Kampferfahrung fehlte. Dazu kam noch das Überangebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt, denn viele unge­lernte und zudem noch unorganisierte Arbeitskräfte waren existentiell gezwungen, jede Art von Arbeit anzunehmen.

In Deutschland gab es jedoch durch das preußische Regulativ vom 9.3.1839 erstmals Regelungen im Zusammenhang mit der Arbeits­zeit. Diese betrafen vorrangig die Arbeitszeit von Kindern: “Die Arbeit von Kindern unter 9 Jahren wurde verboten, die von Kin­dern zwischen 9 und 12 Jahren auf 10 Stunden verkürzt und ein Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit eingeführt. Wesentliche Ver­änderungen erfolgten dann durch das Arbeiterschutzgesetz vom 1.6.1891. Hierdurch wurden die Schutzvorschriften für Kinder und Jugendliche erweitert: Kinder unter 13 Jahren durften überhaupt nicht beschäftigt werden. Für 13- bis 14jährige Kinder und Jugendliche galt eine Höchstarbeitszeit von 6 Stunden. Das Arbei­terschutzgesetz bezog aber auch erwachsene Arbeitnehmer in seinen Schutzbereich mit ein. Frauen wurde Nachtar­beit untersagt, und es wurden die nach wie vor geltenden Regelungen zur Sonntags- und Feiertagsarbeit (für alle Arbeitnehmer) eingeführt.“[2]

Diese Entwicklung erreichte mit der Novemberrevolution 1918 einen entscheidenden Höhepunkt. Mit den Demobilmachungs­verordnungen vom 23.11.1918, 17.12.1918 und 18.3.1919 wurde der 8-Stunden-Tag für alle Arbeitnehmer gesetzlich festgelegt. Doch schon bald hat man sich von der rigiden Regelung des 8-Stunden-Tages abgewandt, um den damaligen wirtschaftlichen Notwendigkeiten gerecht zu werden.[3]

„Durch die Verordnung vom 21.12.1923 wurde eine andere Ver­teilung der Arbeitszeit, die Überschreitung der Arbeitszeit wegen Vor- und Ab­schlußarbeiten, befristete Arbeitszeitverlängerungen durch den Arbeit­geber und eine Verlängerung der Arbeitszeit durch Tarifvertrag und Gewerbeaufsichtsamt möglich. Diese Ausnahmen (auch bezüglich der Terminologie) gelten noch heute.

Um einem weiteren Ansteigen der Mehrarbeit bei hoher Arbeits­losigkeit entgegenzuwirken, wurde ein Arbeitszeitnotgesetz am 14.4.1927 verab­schiedet. Danach war ein Mehrarbeitszuschlag obligatorisch.

Die Arbeitszeitordnung vom 26.7.1934 faßte die bisherigen Rege­lungen für alle Arbeitnehmer zusammen.

Im Jahre 1938 wurden die Bestimmungen für die Jugendlichen in der Arbeitszeitordnung aufgehoben, statt dessen wurde ein Jugend­schutz­gesetz verabschiedet. Die ‘neue’ Arbeitszeitordnung vom 30.4.1938 enthielt nur noch Bestimmungen für erwachsene Arbeit­nehmer. Eine weitere Ausgrenzung erfolgte durch das Mutter­schutzgesetz vom 17.5.1942. Dieses stellt eine Sonderregelung für erwerbstätige werdende Mütter dar. Unter Berücksichtigung dieser Veränderungen gilt noch heute die Arbeitszeitordnung vom 30.4.1938 (gemäß Artikel 125 Grund­gesetz).“[4]

Durch gesetzliche Regelungen gab es von nun an, und besonders ab dem Zeitraum nach 1945, eine Basis für das Mitspracherecht der Tarif­partner (Gewerkschaften, Betriebsräte) bei der Gestaltung der Arbeits­zeit in Branchen und Unternehmen.

Vorrangige Aufgabe war es, die elementaren Schutzbedürfnisse der Arbeitnehmer zu befriedigen, wie zum Beispiel:

- Schutz vor Ausbeutung durch überlange Arbeitszeiten,
- Sicherung von Urlaub und Erholung,
- Durchsetzung und Einhaltung von Arbeitsschutz­maßnahmen,
- gerechte Bezahlung u. v. m.

Dabei lag der Schwerpunkt in den Verhandlungen der Tarifpartner über viele Jahre nur auf der Länge der Arbeitszeit, also auf der Ein­haltung des 8-Stunden-Tages bzw. der schrittweisen Verkürzung der wöchentli­chen Arbeitszeit. Die Lage der Arbeitszeit aus dem starren „Normalarbeitstag-System“ herauszulösen und die Zeit als wichtiges Potential im Wettbewerb anzuerkennen, interessierte noch recht wenige. Erst durch den zunehmenden weltweiten wirt­schaftlichen Wandel, der in Wahrheit ein gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozeß mit mas­siven Eingriffen in unser Werte­system, unser Alltagsverhalten und unsere Gesellschaftsstruktur ist[5], beginnt sich in den Köpfen von Managern, Gewerkschaften, Betriebsräten und nicht zuletzt auch in den Köpfen der Arbeit­nehmer etwas zu regen.

1.1 Der allgemeine Wertewandel beeinflußt die Arbeitszeit

Nach den Buchstaben des Gesetzes ist die Arbeitszeit die Zeit vom Be­ginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen.[6] Die Lage und die Dauer der Arbeitszeit wird in weiteren gesetzlichen Regelungen festge­schrieben, auf die an anderer Stelle noch näher eingegangen wird.

Geht man nun von der charakteristischen Erläuterung des Begriffs „Arbeitszeit“ aus, muß es außerhalb der Arbeitszeit noch Faktoren geben, die für die mit Arbeit beschäftigten Menschen interessant sind.

Die Beschäftigten heute haben längst erkannt, daß die Arbeitszeit nicht mehr die alles beherrschende Komponente in ihrem Leben ist. Sie ist nicht mehr das unantastbare Regulativ der Lebensplanung. Aber auch die Unternehmen befinden sich durch Veränderungen im gesamten Wirtschaftsgefüge in der Phase einer Neuorientierung. Die bestehende Notwendigkeit einer Reformierung der Gestaltung der Arbeitszeit löst auch bei ihnen die Einsicht zum Handlungsbedarf aus.

Für die Menschen in den Industrienationen kommt ein Verände­rungs­prozeß in der Wertung der Arbeit und der Arbeitszeit in Gang. Dies ist nicht nur auf das veränderte Freizeitverhalten - welches mit mehr Ver­dienst, mehr Selbstbewußtsein, mehr Möglichkeiten der Freizeitgestal­tung verbunden ist - sondern auch auf das Bewußtsein, die Arbeitszeit sinnvoll in den eigenen Lebensplan zu inte­grieren, zurückzuführen. Das Motto der Generation der Arbeitnehmer der 90er Jahre (besonders der jüngeren Menschen) heißt nicht mehr: „Leben, um zu arbeiten.“ sondern: „Arbeiten, um zu leben.“

Dieser Entwicklung geht ein permanenter Wertewandel in der Ein­stel­lung zur Arbeit in den westlichen Industrieländern voraus. Eine zunehmend kritische, distanzierte Einstellung der Arbeitnehmer gegen­über der Industriearbeit ist festzustellen. Dabei zeigt sich im internatio­nalen Vergleich die Abkehr der deutschen Arbeitnehmer von der tradi­tionellen Haltung der fraglosen Unterordnung unter die Arbeiterrolle, besonders bei jungen Arbeitnehmern.

Nachfolgende Übersicht macht das deutlich:[7]

Einstellung zur Rolle der Arbeit (nur Berufstätige; jeweils etwa 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Einstellung zur Rolle der Arbeit im internationalen Ver­gleich.

(Quelle: IFD Allensbach; Internationale Umfrage: „Jobs in the 80s“)[8]

Tendenziell läßt sich hierzu sagen, daß sich zumindest bei den jüngeren Arbeitnehmern ein Wertewandel bereits vollzogen hat. Die meisten Menschen wollen ein gesundes Verhältnis zwischen der Arbeitszeit und der freien Zeit. Das bedeutet, daß die Arbeit auf jeden Fall interessant sein soll, aber den Menschen nicht zerstören darf. Um diesen Vorstel­lungen der Arbeitnehmer in Konsens mit den wirtschaftlichen Erfor­dernissen der Unternehmen gerecht zu werden, bietet sich als eine, für beide Seiten erfolgversprechende Lösung, die flexible Gestaltung der Arbeitszeit an.

1.2 Arbeit, Leben, Zeit - Arbeitszeit ist Lebenszeit

Was bis vor einigen Jahren nur im freiberuflichen oder wissenschaftli­chen Bereich möglich war, nämlich die Zeit des Arbeitens und des Nicht-Arbeitens sinnvoll aufeinander abzustimmen,[9] wird zunehmend auch für abhängig Beschäftigte in Unternehmen interessant und möglich.

Die Erkenntnis, daß Arbeitszeit auch und vor allem Lebenszeit ist, macht sich immer mehr breit. Der Ruf nach Veränderungen in der Gestaltung der Arbeitszeit wird laut, und nicht nur aus ökonomi­scher Sicht von Unternehmensseite. Doch trotz der Aktualität der Arbeits­zeitdiskussion ist es erst in wenigen Unternehmen Realität, die festge­fahrenen Gleise der Arbeitszeitorganisation zu verlassen und gemein­sam mit den Beschäftigten neue Wege zu gehen, neuen Arbeitszeitmo­dellen eine Chance zu geben.

Sei es aus Angst vor Veränderungen, Besitzstandsdenken oder ein­fach nur aus Bequemlichkeit oder Unkenntnis - so nach dem Motto: es ging doch bist jetzt ganz gut mit der starren Arbeitszeit, warum sollte man etwas ändern?

Dabei wäre durchaus eine große Anzahl der Arbeitnehmer bereit, die Dauer und Lage der Arbeitszeit in Einklang mit familiären Bedürfnissen und beruflichen Aktivitäten zu bringen, wenn sie nur die entsprechen­den Optionen eingeräumt bekämen.[10] Diese Wünsche resultieren schon aus dem in Punkt 1.1 beschriebenen Wertewandel in der heutigen Zeit. Die Arbeitnehmer wollen zunehmend die Arbeitszeit aktiv in ihren Lebensplan integriert wissen, die Arbeitszeit soll einen Teil vom Sinn des Lebens ausmachen. Dabei muß genügend Freiraum für Familie, Weiterbildung, Hobbies, Sport und Gesunderhaltung bleiben.

Die Realisierung dieser veränderten Ansprüche der Arbeitnehmer be­dürfen jedoch einer soliden Grundlage seitens der Unternehmen.

Als wichtigste Voraussetzungen sind folgende genannt:

- aktive Einbeziehung der Beschäftigten in das Betriebsgeschehen,
- Transparenz von anstehenden Entscheidungen und Verände­rungen,
- gemeinsame Problemlösung, insbesondere mit Hilfe des koope­rativen Führungsstils,
- Übertragung von Verantwortung auf allen Ebenen,
- Vertrauen in die Fähigkeiten der Beschäftigten.

Nur wenn es möglich ist, diese Grundlagen in der Praxis umzuset­zen wird es auch möglich sein, die flexible Gestaltung der Arbeitszeit als innovativen Faktor effektiv zu nutzen.

Es ist an der Zeit, auf die rasanten Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu reagieren - von Arbeitgeber -und Arbeitnehmer­seite. Dabei bleibt der Mensch, trotz aller neuer Technologien, der wichtigste Erfolgsfaktor im Unternehmen. Durch eine neue Bewer­tung seines Daseins bekommt die Arbeitszeit eine neue Dimension. Die Arbeitszeit wird sinnvoll eingebunden in die Lebenszeit - nicht umgekehrt.

1.3 Die Arbeitszeit als Wettbewerbsfaktor

Ein Unternehmen unterliegt im heutigen Wettbewerb extremen Einfluß­faktoren wie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Konkurrenz­verhalten, verstärkte Kunden- und Dienstleistungs­orientierung, Ände­rungen des Konsumenten- und Kaufverhaltens, Änderungen der Bedürfnisstruktur und ebenso internen Faktoren.

Als Folge dieser Veränderungen ergeben sich für das Unternehmen neue Aufgaben. Es geht jetzt nicht nur um das Einbringen neuer Tech­nologien oder die Modernisierung alter Anlagen, es geht vor allem auch darum, das Werte- und Bedürfnisverhalten von Konsu­menten und Mitarbeitern zu beachten und somit zukunftsorientiert neue Wege zu gehen. Dem Unternehmen bietet sich die Chance, nicht nur in tech­nisch-ökonomischer, sondern auch in sozialer Hinsicht für die künftigen Herausforderungen wettbewerbsfähig zu bleiben.[11]

Wettbewerbsfähig in technisch-ökonomischer Hinsicht heißt: mit dem marktnahen und kundengerechten Herstellen von Gütern und Dienst­leistungen kostengünstig zu wirtschaften. Das beinhaltet neben der Rentabilität der Produktionsfaktoren auch den effizienten Personalein­satz. Man kann also ganz allgemein sagen, wenn sich zum Beispiel Dienstleistungsunternehmen, wie Handel, Banken, Versandhäuser u. ä., auf veränderte Marktanforderungen einstellen, wird die Konkurrenz­fähigkeit und die Anpassungsfähigkeit erhöht und somit der Platz im Markt gesichert.

Doch es gibt noch einen anderen, in der heutigen Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnenden Faktor für die Erhaltung der Wettbewerbsfä­higkeit eines Unternehmens: das soziale Erscheinungsbild in Verbin­dung mit einer auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmten flexi­blen Gestaltung der Arbeitszeit.

Das Unternehmen muß auf Veränderungen am Markt reagieren, und das möglichst schnell und effizient. Das ist jedoch nur möglich, wenn das Unternehmen gemeinsam mit den Beschäftigten eine auf Interes­sensausgleich abzielende sinnvoll gestaltete Arbeitszeit entwirft und realisiert. Produktionsschwankungen, Nachfrageschwankungen und saisonale Schwankungen können besser geplant und aufgefangen werden. Ebenso ist denkbar, daß durch großzügig und beweglich ange­legte Arbeitszeitmodelle längerfristige Urlaubs- und Weiterbildungs-interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden können, ohne daß durch einen spontanen Ausfall der reibungslose Geschäftsablauf gestört wird.

Die Arbeitnehmer profitieren durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit und gleichzeitige innerbetriebliche Konsensbildung über größere Arbeitsplatzsicherheit durch den kontinuierlichen „Markterfolg“ ihres Unternehmens.[12]

Die Stärke des Unternehmens findet nicht nur bei den eigenen Be­schäftigten Beachtung, sondern auch in der Gesellschaft. Mit Sicher­heit, Flexibilität und Rentabilität schafft sich das Unter­nehmen ein festes Fundament, um den Anforderungen der Wirt­schaft auch künftig gewachsen zu sein. Der soziale Aspekt des Unternehmens ist neben der technisch-ökonomischen Stärke ein wichtiger, imagefördernder Faktor. Natürlich ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen sozialem An­sehen und der wirtschaft­lichen Stärke eines Unternehmens nicht mit konkreten Zahlen nachweisbar, doch die heutige Industrielandschaft beweist, daß Unternehmen mit sozialem Engagement und ökonomi­scher Schlag­kraft die größeren Überlebenschancen haben.

Dabei haben die Unternehmen erkannt, daß die Ressource „Mensch“ das tragende Element einer Unternehmung ist. Er ist nicht, wie im her­kömmlichen Sinne, als bloßer Produktionsfaktor zu betrachten, sondern als strategischer Erfolgsfaktor. Ihm kommt deshalb erste Prio­rität zu.

Der Erfolg eines Unternehmens ist gekoppelt mit der Einsatzbereit­schaft und dem Wissen und Können seiner Mitarbeiter. Diese Eigen­schaften gilt es zu fördern und erfolgreich in den betrieblichen Prozeß einzubinden. Dabei ist nicht nur das Wissen um das Wettbe­werbspotential der Arbeitnehmer notwendig, sondern eine generelle Umgestaltung herkömmlicher starrer Arbeitszeitgestaltung ist unum­gänglich. Der gegenwärtige Wandel von der Industrie- zur Dienst­leistungsgesellschaft, in welcher sich die Leistung sachbedingt immer mehr an der Nachfrageseite zu orientieren hat, bringt in immer stärkerem Maße die Arbeit auf Abruf hervor.[13]

Diese Tatsache beinhaltet eine völlig neue Betrachtungsweise der Zeit. „In der betriebswirtschaftlichen Diskussion verkörpert die Zeit keinen originären Produktionsfaktor, sondern ein Nutzungspotential von Produktionsfaktoren. Als wertschöpfend gilt (definitionsgemäß) der Pro­duktionsfaktor, nicht die Zeit seiner Nutzung. Diese Sichtweise ver­sperrt leicht das Bewußtsein dafür, daß die Zeit nicht nur eine Quanti­tät ist, sondern auch eine qualitative Dimension haben kann, der ein Arbeitszeitmanagement Rechnung tragen muß.“[14]

II. Arbeitszeitflexibilisierung geht alle an - Herausforde­rung für Unternehmen, Belegschaft, Gewerkschaften und Betriebsräte

1. Arbeitszeitflexibilisierung - Wegweiser für eine zukunftsorien­tierte Wirtschaft

Für die Sicherung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und die Effizienz der vorhandenen Ressourcen sind die Flexibilisierung der Ar­beit Grundvoraussetzungen. Für die dynamische Weiterentwicklung der Arbeitswelt verkörpern die flexible Gestaltung der Arbeit und der Ar­beitszeit eine Schlüsselpositionen für wirtschaftlichen Erfolg und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit.

Wir müssen deshalb aufbrechen, mit Einfallsreichtum und Phantasie, mit Wagemut und Risikobereitschaft, neue Wege zu gehen.[15]

Dabei kommt dem Arbeitszeitmanagement in der heutigen Zeit eine be­sondere Bedeutung zu - als Innovationsfaktor für eine erfolgreiche Wei­terentwicklung der Wirtschaft.

1.1 Arbeitszeitflexibilisierung - Begriff und Potential

Zum besseren Verständnis ist es hilfreich, den Begriff der „Arbeitszeitflexibilisierung“ zu definieren. Die Arbeitszeit als solche wird durch ihre zeitliche Lage sowie Dauer, den sogenannten chronometri­schen sowie chronologischen Faktor bestimmt. Ist mindestens einer dieser beiden Faktoren, also entweder die zeitliche Lage oder die Zeit­dauer, permanent veränderbar, so liegt eine flexible Arbeitszeit vor, wobei die Veränderbarkeit einseitig durch Arbeitgeber oder Arbeit­nehmer oder durch beide Seiten möglich sein muß. Bei der Arbeitszeit­flexibilisierung handelt es sich also um offene Systeme, die andauernde Gestaltungsmöglichkeiten beinhalten.[16]

Arbeitszeitflexibilisierung bedeutet demnach aus betrieblicher Sicht, Lage und Verteilung der Arbeitszeit kurzfristigen Schwankungen von Arbeitsanfall und Personalverfügbarkeit sowie kurzfristigen individuel­len (Frei-)Zeitbedürfnissen anzupassen.[17]

Diese betriebswirtschaftliche Forderung schließt gleichzeitig die Forde­rung der Beschäftigten nach mehr Flexibilität ein.

Durch die Wünsche eines zunehmenden Teils der Beschäftigten nach größeren Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Arbeitszeit hat die Diskussion um die Flexibilisierung der Arbeitszeit in allen hochentwickelten Indu­strienationen deutlich zugenommen. Immer mehr Menschen sehen somit im Verlangen nach „Zeitsouveränität“ ein individuelles Recht auf mehr Gestaltungsmöglichkeit über Dauer und Lage der eigenen Arbeits­zeit.

Hier wird bereits erkennbar, daß die Arbeitszeitflexibilisierung, und alles was damit zusammenhängt, beide Seiten - Arbeitgeber und Arbeit­nehmer - eng miteinander verknüpft und somit einen durchdachten und sensiblen Umgang mit den Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung erforderlich macht.

Denn eine neue Arbeitszeitgestaltung bedeutet ja nicht einfach, eine vorhandene Arbeitszeitform durch eine andere zu ersetzen. Auch geht es nicht darum, die herkömmlichen starren Arbeitszeiten durch neue, flexiblere auszutauschen, und das womöglich noch für alle verbindlich. Ein solches Vorgehen würde weder der Komplexität des betrieblichen Geschehens, noch der Vielfalt der Wünsche der Beschäftigten gerecht werden.[18]

Deshalb ist Arbeitszeitflexibilisierung immer auch Arbeitszeitdifferenzie­rung. Die Differenzierung zeigt sich insbesondere in den unterschied­lichen Anforderungen an die Arbeitszeitgestaltung in den verschiedenen Abteilungen des Betriebes oder in unterschiedlichen Phasen der Ent­wicklung eines Unternehmens, aber auch in den unterschiedlichen Ar­beitszeitwünschen der Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen.[19]

Die Arbeitszeit muß im Rahmen der vorhandenen betrieblichen und persönlichen Möglichkeiten so genutzt werden, daß dabei ein optimales Ergebnis erreicht wird. Eine effiziente Gestaltung der Flexibilisierung der Arbeitszeit muß sich auch an den gesellschaftspolitisch-kulturellen, betrieblichen und individuellen Rahmenbedingungen des Aktionsfeldes orientieren.[20]

Arbeitszeitflexibilisierung ist nicht die abstrakte Einführung von neuen Regelungen, sondern ein komplexer Prozeß im Unternehmen, der alle Bereiche und vor allem die im Unternehmen Beschäftigten berührt. Deshalb ist es notwendig darzulegen, wer in den Prozeß der Arbeitszeit­flexibilisierung eingebunden ist und welche Rolle jedem dabei zukommt.

1.2 Wer will flexible Arbeitszeit?

Bis vor einigen Jahren ging es in der Diskussion um die Arbeitszeit vor allem um die Frage nach ihrer Dauer. Doch der sich vollziehende allge­meine Wertewandel in der industrialisierten Gesellschaft und die Ver­änderungen in der Wirtschaft haben eine neue Dimension im Aushand­lungsprozeß um die Arbeitszeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hervorgebracht. Von nun an steht nicht nur die Dauer der Arbeitszeit, sondern auch die Arbeitszeitstruktur, also die Lage der Arbeitszeit, im Mittelpunkt der Diskussionen.

Sowohl von Seiten der Betriebe und Unternehmen wie auch von Seiten der Beschäftigten werden Arbeitszeiten gefordert, die von den historisch entstandenen „Normalarbeitszeiten“ abweichen.

1.2.1 Die Unternehmen

Eine wachsende Anzahl von Unternehmen wünscht sich eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten. Auf der Basis einer Umfrage in der Euro­päischen Gemeinschaft ist festzustellen, daß in Deutschland 13 % der Unternehmen eine erhebliche Verbesserung der Arbeitszeitregelungen als notwendig erachten, 52 % ziehen immerhin eine geringfügige Ver­besserung in Erwägung und 33 % sind mit den derzeitigen Regelungen zufrieden. Im Maßstab aller EG-Länder betrachtet, sind immerhin über die Hälfte aller Firmen an einer leichten und sogar 16 % an einer erheblichen Verbesserung der Arbeitszeitregelungen interessiert.[21]

Die Gründe für die Einführung flexibler Arbeitszeiten sind naturgemäß in jedem Unternehmen speziell und lassen sich schwer verallgemeinern. Man kann jedoch von vor vier Kategorien von Gründen ausgehen, die sowohl für Produktionsbetriebe als auch für Dienstleistungsunterneh­men zutreffend sind:

1. Anpassung der betrieblichen Arbeitszeit an schwankende Auftrags­lagen:

- wird vor allem von Industriebetrieben mit wechselnder Nachfrage nach ihren Produkten forciert,
- Flexibilisierung der Arbeitszeit schließt Einführung neuer, ebenfalls flexibler Produktionskonzepte ein,
- mit „flexiblen Fertigungssystemen“ oder „Just-in-time Systemen“ wird die Produktion enger an die Nachfrage an­gepaßt,
- diese neuen Produktionskonzepte erfordern allgemein eine größere Flexibilität des Personaleinsatzes.

2. Längere Nutzung teurer Produktionsanlagen:

- der Einsatz neuer Techniken macht die Arbeitsplätze immer kostspieliger,
- tendenziell werden die Arbeitszeiten immer kürzer, somit die Nutzungsdauer immer kleiner,
- aus der steigenden Kapitalintensität folgt eine Tendenz zur Entkoppelung von Betriebszeit und Arbeitszeit,
- Folge: Zunahme von Schichtarbeit, verschobene Arbeits­zeiten, Einführung von Wochenendarbeit, vermehrter Ein­satz von Teilzeitkräften usw.

3. Personalwirtschaftliche Zielsetzungen:

- Verringerung von Fehlzeiten,
- Aktivierung von Personalreserven,
- Erhöhung der Arbeitsproduktivität
- Motivation der Beschäftigten durch Zeitsouveränität,
- bessere Nutzung des Erfolgsfaktors Arbeitnehmer im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit.[22]

4. Ausdehnung des Dienstleistungsangebotes mit dem Effekt der Indivi­dualisierung und Flexibilisierung aller Lebensbereiche - ein Haupt­grund für den Dienstleistungssektor:

- Reagieren auf Veränderungen am Markt hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten,
- erhöhte Servicebereitschaft in der telefonischen Kunden­betreuung,
- mehr Kundennähe durch bessere Betreuung
- Erhaltung des Kundenstammes und als Werbung für neue Kunden.[23]

Diese betrieblichen Motive für die Arbeitszeitflexibilisierung sind jedoch, wie schon in Punkt 1.3 Kapitel I erwähnt, nicht separat zu betrachten. Das Handeln eines Unternehmens nach diesen Prämissen schließt einen positiven Nebeneffekt ein - durch flexible Gestaltung der Arbeitszeit wird neben dem ökonomischen auch das soziale Image gefördert.

1.2.2 Die Erwerbstätigen

Aus zahlreichen Umfragen der letzten Jahre ist zu erkennen, daß das Verständnis der Arbeitnehmer für einheitliche und allgemeingültige Arbeitszeiten deutlich gesunken ist.

Ein zunehmender Teil der Erwerbstätigen möchte gern die „Zeitsouveränität“ als individuelles Recht auf Gestaltung der Dauer und Lage der Arbeitszeit verstanden wissen.

Die starre, genormte Arbeitszeit, die wenig Spielraum für individuelle Wünsche bzw. Verpflichtungen läßt, wird mehr und mehr in Frage ge­stellt. Vor allem die jungen Arbeitnehmer wünschen mehr Selbstbe­stimmung über ihre Zeit, denn wo ist festgelegt, daß die Dauer und Lage der Arbeitszeit fremdbestimmt sein muß? Aber auch die Frauen wollen mit Hilfe einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung die Anforderun­gen an Familie und Beruf besser vereinbaren.

Die Arbeitnehmer haben erkannt, daß es durchaus Alternativen zur konventionellen Arbeitszeit gibt, die es ihnen erlauben, über diesen Teil ihrer Lebenszeit aktiv zu bestimmen. Durch eine grundsätzliche Ge­staltbarkeit der Arbeitszeit wird ein Zeitwertbewußtsein geschaffen, welches ein bewußtes Wahlhandeln ermöglicht.

Dabei bilden sich ganz individuelle Arbeitszeitpräferenzen der Arbeit­nehmer heraus, die dazu beitragen können, die Arbeitszeitflexibilisie­rung in die unterschiedlichsten Richtungen voranzutreiben.[24]

Welche Wünsche haben die Erwerbstätigen?

1. Arbeitszeitverkürzung in Form von Blockfreizeiten:

- favorisierter Wunsch aus vielen Umfragen,
- Formen der Blockfreizeiten: zusätzlicher Urlaub, Verlängerung des Wochenendes

2. Wahlmöglichkeiten bei Arbeitsbeginn und Arbeitszeitende:

- im Rahmen der Gleitzeit sind die Möglichkeiten gegeben, die vom Arbeitnehmer als Freiheit empfunden und als Vertrau­ensbeweis von Seiten des Unternehmens gesehen werden,
- der Wunsch nach Ausdehnung dieser Möglichkeiten ist je­doch da. Daß es in dieser Richtung noch mehr Spielräume gibt, ist bekannt.

3. Möglichkeit der Teilzeitarbeit:

- unter Berücksichtigung einzelner Lebensphasen, wird von den jüngeren Erwerbstätigen eine flexible Gestaltung der Teilzeitarbeit gewünscht, denn:
- es kann Phasen geben, wo kürzere Arbeitszeiten wichtiger sind, als „volles“ Einkommen
- oder es gibt Phasen, wo die Einkommensfrage absolut dominiert.
- Die heutigen Arbeitszeitmöglichkeiten sind oft überhaupt nicht geeignet, den vorgenannten individuellen Wünschen Rechnung zu tragen:
- die Alternative heißt noch häufig, entweder Vollzeit oder Teilzeit in Form einer halben Anstellung,
- Möglichkeiten, 80 % oder 90 % zu arbeiten, sind somit nicht vorgesehen.
- Hier liegt jedoch ein großes Potential für die Unternehmen, wirtschaftlich und sozial attraktiv zu bleiben![25]

4. Möglichkeit des unbezahlten Langzeiturlaubs:

- die einen möchten eine Pause, um ausgiebig zu reisen,
- die anderen, um sich beruflich fortzubilden,
- Mütter möchten ihren bezahlten Schwangerschaftsurlaub verlängern und
- ausländische Arbeitnehmer möchten gern für längere Zeit in ihre Heimat reisen.

Diese Wünsche werden jedoch momentan noch vom starren Arbeitszeit­reglement verhindert, da bei Rückkehr aus der langen Pause der gleiche Arbeitsplatz nicht zugesichert werden kann.

5. Wunsch nach flexibler oder gleitender Pensionierung:

- den Wunsch nach Verkürzung der Lebensarbeitszeit, nach vorzeitigem oder stufenweisem Rückzug aus dem Erwerbsle­ben äußern große Teile der älteren Beschäftigten.

Momentan sind diese Wünsche jedoch mit erheblichen Einkommens- und Renteneinbußen verbunden und somit für breite Schichten kaum realisierbar.[26]

1.3 Mehr Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung durch gemeinsames Handeln aller Beteiligten

Das Jahrhundert kollektiver Einheitsregelungen und Zwänge im System Arbeit und Arbeitszeitgestaltung geht seinem Ende entgegen. Es ist an der Zeit, den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet der Unternehmens­führung allen am Unternehmensprozeß Beteiligten deutlich zu machen, das Interesse für Veränderungen zu wecken und neue Ideen mit Leben zu füllen.

Als Beteiligte im Unternehmensprozeß stehen folgende drei Gruppen:

- das Management mit der Aufgabe der Unternehmensführung (siehe Punkt 1.3.1,nachfolgend),
- die Belegschaft mit der Aufgabe, die gestellten unternehmeri­schen Ziele unter den gegebenen betrieblichen und sozialen Bedingungen zu erfüllen (siehe Punkt 1.3.2, nachfolgend),
- der Betriebsrat mit seinem Recht auf Mitbestimmung bei be­trieblichen und personellen Entscheidungen des Managements (siehe Punkt 1.3.3, nachfolgend).

1.3.1 Das Management - seine Bedeutung und Rolle bei der Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung
1.3.1.1 Das Management - Begriffserklärung

Im heutigen Sprachgebrauch hat sich der Begriff Management als Syn­onym für die Unternehmensführung allgemein durchgesetzt. Übersetzt aus dem Englischen „to manage“ bedeutet es handhaben, führen, leiten. Ein funktionierendes und sich ständig weiterentwickelndes Management ist demnach unentbehrlich für den Unternehmenserfolg.

Management ist überall dort erforderlich, wo das Verhalten einer Viel­zahl von Menschen auf Ziele hin koordiniert werden muß, dies jedoch unter ständig wechselnden Umständen, die eine exakte Planung un­möglich machen. Die Zielstellung des Managements ist somit das Be­herrschen komplexer Systeme durch Koordinieren des Verhaltens von Menschen auf variierende Ziele unter ständig wechselnden Umständen, über die wir nie alles wissen können.[27] Im Management bündelt sich somit das entscheidende Potential der Führung vom Unternehmen als Ganzes, seiner Teile oder von Teilprozessen mit dem Ziel, die gegenwär­tige und künftige Wirtschaftlichkeit dieser Gebilde zu sichern und zu optimieren. Dabei bekommt die Flexibilisierung der Arbeitszeitgestal­tung unter den globalen Veränderungen in der Wirtschaft eine ent­scheidende Bedeutung.

1.3.1.2 Anforderungen an das Management

„Trotz der Aktualität und Intensität der Arbeitszeitdiskussion erscheint das Arbeitszeitbewußtsein sowohl bei Mitarbeitern wie Führungskräften gegenwärtig noch wenig ausgeprägt. Das ist auch wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, daß sich der Lebensrhythmus in den Industrie­staaten seit Beginn der Industrialisierung am Prinzip der Uniformität und Gleichzeitigkeit orientiert.“[28] Läßt sich doch für den Einzelnen auf der Basis der Gleichförmigkeit die Alltags- und sogar die Lebensplanung maßgeblich erleichtern. Selbst die Koordination ökonomischer Prozesse wird dadurch auf ein überschaubares Maß reduziert.

Die Nutzung der Vorteile einer Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung ist deshalb nicht ohne erhebliche Probleme und Widerstände umzuset­zen. Auf den ersten flüchtigen Blick sind für die Beteiligten, maßgeblich die Arbeitnehmer, wenig individuelle Vorteile zu erkennen und schon gar nicht mit konkretem Erfolgsnachweis zu belegen.

Obwohl die Arbeitnehmerschaft, wie im Punkt 1.2.2 dieses Kapitels be­schrieben, schon gewisse Ambitionen für Veränderungen hegt, sind die Unsicherheit und Angst vor dem Neuen nicht zu übersehen. Es ist also durchaus kein Widerspruch, vom Wertewandel in der Gesellschaft und Wirtschaft mit dem Wunsch nach mehr Flexibilität zu sprechen, und gleichzeitig die vorhandenen Hindernisse und Barrieren aufzuzeigen. Im Gegenteil, diese beiden Aspekte zeigen umsomehr die Komplexität des Themas Arbeitszeitflexibilisierung. Das Management muß diesen Prozeß als komplexen sozialen Vorgang verstehen, nur so wird es in der Lage sein, Neuerungen mit dem geringsten Reibungsverlust durchzusetzen.

Für die erfolgreiche Einführung neuer Arbeitszeitmodelle im Unterneh­men, hat sich das Management deshalb besonderen Herausforderungen zu stellen. Die Umsetzung neuer Ideen ist nicht von jetzt auf nachher durchführbar, sie muß unter Beachtung von Rahmenbedingungen als Entwicklungsprozeß gesehen werden. Denn Flexibilisierung heißt doch, daß von einer starren, verbindlichen Einheitslösung für alle zu neuen, vielfältigeren und individuelleren Arbeitszeitformen übergegangen wird.[29] „Flexibilisierung bedeutet einen Bruch mit - liebgewonnenen oder einengenden - Traditionen und Gewohnheiten.“[30] Deshalb muß mit besonderer Sorgfalt und Offenheit vorgegangen werden.

Unter Beachtung der folgenden fünf Punkte (herausgearbeitet von Dr. Rudolf Ergenzinger[31] und vom Verfasser ergänzt) können entscheidende Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Einführung neuer Arbeits­zeitmodelle geschaffen werden:

1. Die Informationspolitik

Die Mitarbeiter sollen frühzeitig, kontinuierlich und vollständig über Neuerungen und anstehende Veränderungen informiert werden. Nur so gewinnt man Verständnis für die neuen Ideen und kann Unsicherheiten abbauen.

Der Mitarbeiter stellt dabei fest, daß er mehr Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitszeit gewinnt und das Verhältnis von Arbeit und Freizeit neue, interessante Aspekte erhält. Denn trotz allem Wertewandel im allge­meinen darf nicht übersehen werden, daß es nicht unbedingt der größte Teil der Arbeitnehmer ist, der sofort einer Flexibilisierung der Arbeits­zeitgestaltung unvoreingenommen gegenübersteht.

[...]


[1] Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 19

[2] Schneider, J., Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitszeitgestaltung (1992), S. 118

[3] vgl. Schneider, J., Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitszeitgestaltung (1992), S. 118

[4] Schneider, J., Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitszeitgestaltung (1992), S. 118/119

[5] vgl., Gutmann, J.; Willkommen im Freizeitpark? in; Flexibilisierung der Arbeit (1997), Gutmann, J. (Hrsg.), S. 7

[6] vgl., ArbZG vom 6.6.1994 (BGBL I. S. 1170), § 2 (1)

[7] vgl. Wagner, D.; in: Marr, R. (Hrsg.), Arbeitszeit und Wertewandel (1993), S. 302

[8] vgl. Wagner, D.; in: Marr, R. (Hrsg.), Arbeitszeit und Wertewandel (1993) S. 303

[9] vgl. Marr, R.; Arbeitszeitmanagement (1993), S. 18

[10] vgl. Marr, R.; Arbeitszeitmanagement (1993), S. 18

[11] vgl. Ergenzinger, R.; Arbeitszeitflexibili.sierung (1993), S. 3

[12] vgl. Raasch, S., in: Hoffmann, R., Lapeyre, J. (Hrsg.), Arbeitszeit ist Lebenszeit (1995), S. 100

[13] vgl. Raasch, S., in: Hoffmann, R., Lapeyre, J. (Hrsg.), Arbeitszeit ist Lebenszeit (1995), S. 98

[14] vgl. Marr, R.; Arbeitszeitmanagement (1993), S. 16

[15] vgl. Blüm, N., Vorwort, in: Gutmann, J. (Hrsg.), Flexibilisierung der Arbeit (1997), S. V

[16] Linnenkohl, K., Rauschenberg, H.-J., Arbeitszeitflexibilisierung (1996), S. 18

[17] Dr. Hoff, Weidinger u. Partner; Abschied von der Zeitverbrauchskultur, in: Personalführung 9/95

[18] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 496

[19] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 470

[20] vgl. Wagner, D., in: Marr, R., Arbeitszeitmanagement (1993), S. 296

[21] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 32

[22] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 31 - 33

[23] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 38

[24] vgl. Marr, R.; Arbeitszeitmanagement (1993), S. 20

[25] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 34

[26] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 35

[27] vgl. Hofmann, D., Vorlesung Unternehmesführung vom 25.11.1995

[28] Marr, R., Arbeitszeitmanagement, (1993), S. 19

[29] vgl. Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 492

[30] Baillod, J., Holenweger, T., Ley, K., Saxenhofer, P.: Handbuch Arbeitszeit (1993), S. 492, a)

[31] Ergenzinger, R., Arbeitszeitflexibilisierung - Konsequenzen für das Management (1993), S. 278

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Die Arbeitszeit im Wandel - neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung im Bertelsmann Club Stuttgart
Hochschule
Westsächsische Hochschule Zwickau, Standort Zwickau
Note
1
Autor
Jahr
1998
Seiten
91
Katalognummer
V185140
ISBN (eBook)
9783656994435
ISBN (Buch)
9783867460446
Dateigröße
940 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arbeitszeit, wandel, arbeitszeitmodelle, kundenbetreuung, bertelsmann, club, stuttgart
Arbeit zitieren
Renate Blaß (Autor:in), 1998, Die Arbeitszeit im Wandel - neue Arbeitszeitmodelle für die Kundenbetreuung im Bertelsmann Club Stuttgart, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185140

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