Möglichkeiten und Grenzen der Medienerziehung an einer Sonderschule für Lernbehinderte am Beispiel des Experiments "Schüler machen Radio"


Examensarbeit, 1997

72 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1 Einleitung

“Gestern noch in der Schule - heute schon bei uns im Tonstudio!” - so oder ähnlich könnte das Motto der Landesbildstelle in Düsseldorf lauten, die mit ihrem Projekt “Rads” (Radio aus der Schule) für eine Einbindung der Bürgerfunkarbeit in die Schulen des Landes NRW wirbt. Da ich selbst auf eine langjährige Mitarbeit in einer Bürgerfunkgruppe zurückblicken kann, und seit vier Jahren lernbehinderte Schüler unterrichte, war schnell die Idee entstanden, dieses Projekt wissenschaftlich zu begleiten. Kann der lernbehinderte Schüler Radiobeiträge produzieren, die sendefähig sind? Kann er vielleicht sogar Förderung durch den Umgang mit dem Medium Radio erfahren? Diese Fragestellungen versucht die vorliegende Arbeit zu untersuchen.

In einem theoretischen Teil (Gliederungspunkte 2-4) sollen dazu die Basisinformationen zur Entstehung des Bürgerfunks und das technisch-journalistische Grundwissen im Hinblick auf seine Anwendbarkeit an einer Schule für Lernbehinderte dargelegt werden. Des weiteren wird die Frage zu beantworten sein, wie die Produktionsabläufe eines Radiobeitrags und eines kompletten Magazins didaktisch und methodisch umgesetzt werden können. In diesem Zusammenhang soll auch untersucht werden, ob das Produzieren von Radiobeiträgen dem Lernbehinderten helfen kann, seine Lerndefizite abzubauen, ob das “Radiomachen” vielleicht sogar Fördermöglichkeiten bietet. Kann der Lern- und Förderort Schule zu einem Lern- und Förderort Tonstudio werden? Nach dem Motto: vom Klassenraum direkt ins Studio!?

Das Projekt “Rads” soll in einem weiteren Kapitel (Gliederungspunkt 5.1) dargestellt werden. Intentionen und Konzept des auf drei Jahre festgeschriebenen Projekts werden vorgestellt, und es wird zu prüfen sein, ob die Aus- und Fortbildung der Lehrer den Anforderungen an den schulischen Alltag gerecht wird. Der Beobachtungszeitraum von fünf Monaten läßt dabei nur eine eingeschränkte Beurteilung zu. Die sich unmittelbar anschließende Darstellung (Glie­derungspunkt 5.2) über die Produktion eines Radiomagazins mit einer 10. Klasse wird zeigen, ob und unter welchen Bedingungen eine solche Produktion möglich ist, und wie sie organisatorisch und didaktisch-methodisch vorbereitet und durchgeführt werden muß. Kann sich so etwas wie eine Redaktionsgruppe etablieren und auf Dauer im schulischen Alltag integrieren lassen?

Die vorhandene Literatur bzgl. Radioarbeit mit Kindern und Jugendlichen beschränkt sich, mit wenigen Ausnahmen, auf den außerschulischen Bereich. Hier werden Projekte im Freizeit- und Sozialbetreuungsbereich vorgestellt, oder rein theoretische Ausführungen angeboten. Die vorliegende Arbeit kann somit auch eine Lücke schließen und Anlaß sein, die Möglichkeiten der im Landesrundfunkgesetz verankerten Bürgerbeteiligung am privaten Rundfunk, für die Schule zu erschließen.

Der Gliederungspunkt 6 versucht, die theoretischen Vorgaben und die Praxistauglichkeit in einer kritischen Reflexion darzulegen. Im Vordergrund der Betrachtungen sollen dabei die gemachten Erfahrungen im Projekt stehen. Die Praktikabilität und somit die langfristige Einbindung von Radioarbeit in den pädagogischen Alltag einer Lernbehindertenschule sollen dabei hinterfragt werden. Ein Ausblick auf weitere mögliche wissenschaftliche Untersuchungen und Hinweise bzgl. der Möglichkeiten und Grenzen des “Radiomachens in der Schule” schließen sich an.

Vielleicht kann dann folgendes Wort Michel Eyquem de Montainges Geltung bekommen, hinsichtlich medienpädagogischer Leitlinien in der Schule:

“Das Wort gehört zur Hälfte dem,

welcher spricht,

und zur Hälfte dem,

welcher hört.

(Montaigne in: Huhn, S. 169)

2 Darstellung des Hörfunks und Entwicklung des Bürgerfunks

Die Beschäftigung mit dem Thema Hörfunk und Bürgerbeteiligung macht es notwendig, einige historische Aspekte anzuführen. Sie sollen Entwicklungen und gesellschaftliche Tendenzen aufzeigen und somit den historischen Kontext, soweit dies für die vorliegende Thematik von Bedeutung ist, erhellen.

2.1 Das Medium Hörfunk unter historischen Gesichtspunkten

Die Erfindung der drahtlosen Telegraphie im vorigen Jahrhundert steht am Anfang der Rundfunkgeschichte (Der Begriff Rundfunk ist im weiteren mit Hörfunk gleichzusetzen. Rundfunk ist der technische Begriff für ungerichtete Abstrahlung an die Allgemeinheit. Er unterteilt sich in Hörfunk und Fernsehen). Bereits 1892 wurde gesetzlich festgeschrieben, daß der Staat der alleinige Betreiber und Nutzer solcher Anlagen sein sollte. Bevor es den eigentlichen Rundfunk gab (Geburt des öffentlichen Hörfunks 1923), war also schon die passive Rolle des Hörers festgelegt.

“Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsappart des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Hörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen” (Brecht, 1975, S.129ff). Diese für die heutige Kommunikationsgesellschaft aktuell zu nennende Forderung Brechts wurde als politische Forderung im Jahr 1932 formuliert. Die Abhängigkeiten und Manipulationsformen, die in der darauf folgenden Zeit des Nationalsozialismus dem Rundfunk widerfuhren, sind hinlänglich bekannt. Von Beteiligung oder Mitbestimmung des Bürgers oder Hörers kann in dieser Zeit keine Rede sein.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Rundfunk auf ein in den einzelnen Bundesländern binnenpluralistisches System von öffentlich rechtlichen Anstalten ausgerichtet. Die medientheoretischen Diskussionen (z.B. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Günther Anders u.a.) in den Nachkriegsjahrzehnten spitzten sich auf dem Höhepunkt der gesellschaftskritischen Bewegung (Studentenbewegung) zu. Die Forderungen nach Bürgerbeteiligung an den Medien allgemein (und somit auch am Hörfunk) wurden laut. Bürgerbeteiligung (Hörerbeteiligung) - im Sinne von Übernahme von Verantwortung für Sendebeiträge - gab es jedoch nicht (Eine Ausnahme bildet hier die Sendung “Hallo Ü-Wagen” des WDR unter der Leitung von Carmen Thomas ab 1976. Hier war Hörerbeteiligung bewußt gewollt und weitgehend unzensiert geblieben). Daneben bildete sich der “Freundeskreis bundesdeutscher Freier Radios”, der sogenannte “Freie Radios” etablieren konnte. Aufgrund rechtlicher Probleme hat jedoch nur das “Radio Dreyeckland” bis heute überlebt. Im Zuge der Kabelpilotprojekte entstanden in den 80iger Jahren in Dortmund, München, Ludwigshafen und Berlin die “Offenen Kanäle”. Dies ist insofern interessant, weil der Gesetzgeber hier bereits gesetzlich verankerte Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung schuf (vgl. Hinz, Georg; S.7ff).

Der öffentlich rechtliche Hörfunk bietet in wenigen Programmnischen (i.d.R. stundenweise) offene Sendungen an. In diesen ist in eingeschränktem Maß eine redaktionelle Beeinflussung durch den Bürger möglich. Diese Möglichkeiten werden jedoch wenig genutzt und sind Modeströmungen und redaktionellen Vorgaben unterworfen.

Man kann also sagen, daß die Beteiligung des Hörers/Bürgers am Hörfunk in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verschwindent gering ist und war. Der Privatfunk hat jedoch einen neuen Weg eröffnet. Im nächsten Abschnitt sollen diese neuen Entwicklungen der Bürgerbeteiligung aufgezeigt werden.

2.2 Das Landesrundfunkgesetz Nordrhein-Westfalen (LRG NW)

In einem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1986 wurde im sogenannten “Niedersachsen-Urteil” die Dualität von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk gesetzlich verankert. Der Weg für einen zusätzlichen privaten und kommerziell orientierten Rundfunk war somit geebnet (Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im sog. 1. Fernsehurteil 1961 “Privatfunk” vom ausreichenden Vorhandensein geeigneter Frequenzen abhängig gemacht.).

Das Landesrundfunkgesetz (LRG) Nordrhein-Westfalen legte dann 1986 den Weg für die Beteiligung des Bürgers am Hörfunkprogramm (privater Lokalfunk, Begriffsbestimmung im LRG i.d.F.v. 10.Nov.1995; §2 Abs.2) fest. In § 24 Abs.4 LRG NW werden dem “Bürgerradio” bzw. “Bürgerfunk” 15% der Sendezeit (höchstens jedoch 2 Stunden am Tag) im privaten Rundfunk zur Verfügung gestellt. Die freien Gruppen (ab 2 Personen) sollen eine kulturelle Zielsetzung verfolgen. Berechtigt sind die Gruppen, die im betreffenden Verbreitungsgebiet des privaten Lokalsenders ihren Wohnsitz haben, uneingeschränkt geschäftsfähig sind, ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 18 GG nicht verwirkt haben und gerichtlich unbeschränkt verfolgt werden können (ebd.; §24 und §35 Abs.6).

Die produzierenden Gruppen müssen sich mit ihren Beiträgen an bestehendes Gesetz halten. Sie sollen ethische Normen einhalten, die Jugendschutzbestimmungen berücksichtigen und dürfen somit z.B. nicht zum Rassenhaß aufrufen oder Personen und gesellschaftliche Gruppen diskriminieren. Es ist ihnen auch nicht erlaubt, innerhalb ihrer Sendebeiträge Werbung zu betreiben, oder den Beitrag sonst kommerziell zu nutzen. Die Beiträge müssen selbst hergestellt und gestaltet und “auschließlich für die Ausstrahlung in diesem Verbreitungsgebiet oder in einem Teil davon bestimmt sein” (ebd. §24 Abs.4).

Erstmalig haben nun Bürger die Möglichkeit, ohne Zensur, Einflußnahme oder Bevormundung, eigene Hörfunkbeiträge zu gestalten und (im oben genannten Rahmen) frei ihre Meinung zu äußern. Die Redaktion des Lokalsenders kann einen Beitrag ablehnen, wenn er gegen geltendes Gesetz verstößt oder von technisch schlechter Qualität ist.

3 Das Medium Hörfunk in der Schule

Zur Arbeit und Produktion von hörfunktauglichen Beiträgen gehört ein Mindestmaß an technischen und journalistischen Kenntnissen. Dieses Kapitel soll aufzeigen, welche Mindestanforderungen notwendig sind und wie man sich technisches Equipment und jounalistische Know-How beschaffen und erarbeiten kann. Die Darlegungen sind immer im Hinblick auf den Nutzen und Gebrauch mit und für den Schüler und Unterricht ausgewählt. Eine professionelle Ausbildung der Schüler zum Reporter ist nicht vorgesehen. Deshalb zeigt das Kapitel 3 praktikable und einfach zu beschaffene Hilfsmittel auf und verweist auf die Quellen.

3.1 Technisch-organisatorische Voraussetzungen

Die Lehrer haben an ihren Schulen in der Regel keine professionelle Studiotechnik zur Verfügung. Es ist jedoch zwingend notwendig, zumindest technisch akzeptable Beiträge bei den Lokalfunksendern einzureichen, da mangelhafte technische Qualität einer der wenigen Gründe (s.o. Kap.2.2) zur Ablehnung eines Bürgerfunkbeitrags durch die Lokalfunkredaktion sein kann.

Da in den meisten Fällen die schulischen Etats für die Anschaffung von teurem Hörfunkequipment fehlen und fehlen werden, ist es notwendig, dies bei entprechenden Institutionen zu leihen und/oder zu nutzen (bei sog. von der Landesanstalt für Rundfunk LfR “anerkannten Radiowerkstätten”). Dies ist in der Regel kostenfrei und mit Unterstützung hauptamtlicher Mitarbeiter solcher Einrichtungen in den Kreisen, kreisfreien Städten oder größeren Gemeinden problemlos möglich. Diese Einrichtungen werden in der Regel durch die Landesanstalt für Rundfunk und von freien Trägern bezuschußt und stehen somit jedem Bürger (somit auch einer Schule/Schulklasse) zur Verfügung. Es ist bei manchen Sendern auch möglich, die Studiotechnik zu nutzen. Dies wird jedoch unterschiedlich gehandhabt. Die Lokalsender geben hier Auskunft. Die nachfolgende Liste solcher Einrichtungen soll helfen, die nächstgelegene Einrichtung zu finden:

Einrichtungen mit Hörfunkstudios und hauptamtlicher Begleitung für die Produktion von Bürgerfunksendungen:

- freie Radiofördervereine
- kirchliche Bildungshäuser/Weiterbildungsstätten
- kommunale Einrichtungen, Landes-, Kreis- und Stadtbildstellen
- Volkshochschulen
- (Lokalsender eingeschränkt)

Die diesen Einrichtungen angegliederten Produktionsstudios dienen nur zum Produzieren von Sendungen bzw. sendefertigen Beiträgen für den Bürgerfunk und sind anders ausgestattet als die Sendestudios in den Lokalfunksendern. Sie verfügen in aller Regel über ein komplettes Equipment, mit dem man professionell arbeiten kann.

Die Weiterbildungsangebote in den Bildungsstätten nennen i.d.R. eine Vielzahl von Kursen, die von Lehrern genutzt werden sollten. Diese Kurse können sein:

- Einführungskurse
- Technikkurse
- journalistische Grundlagen
- Sprecherziehung
- Produktionsgruppen/-seminare
- kreativ Workshops
- Spezialseminare (z.B. Schülerradiogruppen)
- Hörspielproduktionsseminare
- Moderationsschulung
- Trainings zu verschiedenen Themenfeldern (in: Bildungswerk, S.5).

Es ist für die Lehrer wichtig, vor Beginn eines Unterrichtsprojekts zum Thema Schülerradio, selbst eine fundierte Ausbildung zu erhalten (Wünschenswert wäre auch eine eigene Beteiligung an Bürgerfunksendungen.). Die Lehrer können erst aufgrund eigener Erfahrungen und praktischer Radioarbeit ihren Schülern die Arbeit mit dem Medium Hörfunk näherbringen. Gerade die bei der Durchführung von Projekten oder Unterrichtsreihen auftretenden Problem sind von einem praxiserprobten Lehrer methodisch effizienter und problembezogener zu lösen. Die oben genannten Einrichtungen bieten diesen Service an. Darüber hinaus sind Fort- und Weiterbildungsangebote anderer Institutionen auf mögliche Angebote zu sichten. Die Landesbildstelle Rheinland hat dazu das Projekt “Radio aus der Schule” initiiert. Ebenso haben das Adolf-Grimme-Institut und das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest u.a. Seminare anzubieten (diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

Je nach Interesse und Engagement ist die persönliche Qualifizierung (und Weiterqualifizierung) zu strukturieren. Die dringend notwendigen Qualifikationsvoraussetzungen, um eine pädagogisch sinnvolle Radioarbeit mit Schüler in Projekten oder Unterrichtsreihen zu garantieren, werden in den Abschnitten 3.1.1 - 3.1.2 und 3.2.1 - 3.2.5 näher erläutert. Sie bilden die Basis jeden “Radiomachens” in der Schule.

3.1.1 Das Reportagegerät

Die professionell genutzten Aufnahmegeräte für Interviews, Reportagen und Aufnahmen von Hintergrundgeräuschen (Atmosphäre, »Atmo«) sind Kassettenrecorder, die in ihrer Bedienbarkeit den Home-Recordern sehr ähneln (übliche Laufwerksfunktionen), sie heißen Reportagegeräte. Schüler können in aller Regel sofort damit umgehen. Die Geräte sind robust gebaut, zum Umhängen gedacht und leicht. Das Handling ist also ganz dem Gebrauch vor Ort angepaßt. Dies kommt der Arbeit mit Schülern insofern entgegen, als daß diese Geräte keine Angst vor Technik machen und ausgeliehen werden können, ohne Gefahr zu laufen, sie bei unsachgemäßem oder grobem Umgang sofort zu beschädigen.

Die Geräte verfügen über eine manuelle Aufnahmeaussteuerung, Rauschunterdrückung, Limiter, Kopfhörer, Abhörlautsprecher u.a. Details (Anschlußfelder/-buchsen). Eine Einweisung/Schulung in die Gerätetechnik ist jedoch für die Lehrer erforderlich, um den korrekten Umgang mit der Reportageeinheit zu beherrschen.

Die dazu gehörenden Mikrofone sind ein weiterer wichtiger Bestandteil des Recorders. Sie dienen der Umwandlung von Schalldruck in elektrische Impulse, die dann vermittels des Recorders auf Kassetten aufgezeichnet werden können. Für den Einsatz im Unterricht ist die Unterscheidung in Mikrofone mit Nieren- und Kugelcharakteristik wichtig. Das Nierenmikrofon hat eine Richtcharakteristik, die es ermöglicht, Geräusche oder den Gesprächspartner gezielt auszuwählen. Es nimmt in der Regel akustische Signale die von vorn kommen auf und vernachlässigt Umgebungsgeräusche. Die Kugelcharakteristik verleiht dem Mikrofon die Fähigkeit rund um den Mikrofonkopf sämtliche Tonquellen aufzuzeichnen. Je nach Einsatzort und Tonquelle ist eine Entscheidung zu treffen. Oft ist es notwendig, die Umgebung in die Aufnahme einzubeziehen, um Atmosphäre transportieren zu können. Das Kugelmikrofon ist dazu bestens geeignet. Sind Umgebungsgeräusche jedoch weniger gefragt, oft störend bei Interviews, so ist die gerichtete Charakteristik der Nierenmikrofone notwendig. Beim Einsatz im Unterricht ist dies durch Versuche auszuprobieren, um die unterschiedlichen Eigenschaften zu verdeutlichen. Auch hier ist es ratsam, eine Einweisung für die Lehrer durchzuführen.

3.1.2 Das Tonstudio

Nachdem die Aufnahmen mit dem Reportagegerät erfolgt sind, ist es notwendig, diese auf Tonbandmaterial (sogenanntem “Senkel”) zu überspielen. Erst dann können sie mit den entsprechenden Bandmaschinen geschnitten und zu einem sendefertigen Band zusammengestellt werden.

Das Tonstudio verfügt daneben über ein Mischpult zur Einspielung von verschiedenen Tonquellen und Verstärkereinrichtungen zur Hörbarmachung der Produktion und ihrer Teile.

Die Tonbandmaschinen verfügen über ein offen liegendes System zum Schneiden (dies ist hier wörtlich zu verstehen) des Tonbandmaterials. Das Schneiden dient der Selektion von O-Tönen (Originaltönen, Originalaufnahmen), damit daraus fertige Beiträge zusammengestellt (zusammengeklebt) werden können.

In der Sprecherkabine können Kommentare und Begleittexte ohne störende Nebengeräusche aufgenommen werden. Sie werden z.B. “gebauten Beiträgen” (s.a. 3.2.3) beigefügt oder ermöglichen die Moderation eines kompletten Magazins. Auch Interviews können dort geführt werden.

Die Minimalkonfiguration für ein Tonstudio sollte (für die Arbeit mit Schülern) 1 - 2 Tonbandgeräte, 1 Mischpult, Verstärkeranlage, Reportageeinheit und Studiomikrofon sein. Diese Minimalkonfiguration wird von vielen der genannten Bürgerfunkstudios als mobile Einheit angeboten, sodaß, zeitlich begrenzt, Hörfunkarbeit im Schulgebäude selbst oder vor Ort stattfinden kann. (Die Digitaltechnik z.B. Mini-Disk, PC-Schnittplatz hat neue Möglichkeiten eröffnet, die sich z.Zt. noch in der Erprobung befinden.)

Für Schüler ist es auf jeden Fall interessant, ein professionell eingerichtetes Studio zu besuchen und in ihm zu arbeiten. Produktionsabläufe und Produktionsarbeit werden hier transparent gemacht - wie in einem richtigen Sendestudio. Die Faszination, die für junge Menschen davon ausgehen kann, ist vorstellbar.

3.2 Sendeformen

“Schneller als das Fernsehen und unmittelbarer als die Tagespresse vermittelt er (z.Anm.: der Rundfunk) aktuelle Ereignisse an den Hörer. Dabei bedient sich die Radioberichterstattung einer breiten Vielfalt von Sendeformen” (Allebrand; in: Bildungswerk, Radiowerkstatt - Arbeitsheft, S.26).

Die in Abschnitt 3.2.1 - 3.2.5 angeführten Sendeformen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sind ausgewählt im Hinblick auf Machbarkeit an einer Schule für Lernbe­hinderte. Berücksichtigt man die vielfältigen Störungsbilder und spezifisch didaktisch-me­thodischen Voraussetzungen, die Lernbehindertenunterricht mit sich bringt, so ist eine Reduktion auf die grundlegenden Sendeformen und die damit verbundenen kognitiven und manuell-technischen Fähigheiten zu prüfen. Die unten aufgezeigten Präsentationsformen von Radiobeiträgen im Bürgerfunk bilden die Grundlage der Radioarbeit schlechthin. Sie sind auch von Lernbehinderten zu erlernen und praktisch umzusetzen. Die damit verbundenen didaktisch-methodischen Planungen und Fördermöglichkeiten werden in Kapitel 4 näher erläutert.

3.2.1 Nachricht

“Radioberichterstattung hat sich aus einer jounalistischen Grundform entwickelt, die uns vom täglichen Lesen bzw. Hören bestens bekannt ist: als Urtyp aller Sendeformen gilt die gesprochene Nachricht” (ebd. S.31).

Die Darstellungsform Nachricht ist den Schülern bekannt. Sie wird ihnen tagtäglich in allen Medien präsentiert, somit können sie sich etwas darunter vorstellen. Den Schülern sollte erläutert werden, daß eine Nachricht folgende Kriterien erfüllen muß: sie sollte aktuell sein, sie sollte von Interesse für eine größere Zuhörergruppe sein, sie sollte originell sein und “zum Staunen bringen” (ebd.). Bei der Erstellung von Schülerradiobeiträgen ist in Redaktionssitzungen die Nachricht jeweils auf diese Kriterien hin zu überprüfen. Eine Nachricht läßt sich z.B. sehr gut einüben und präsentieren in einem sog. Pausenradio. Dieses schulinterne Pausenradio kann eine Vorübung sein, die zudem noch den Schulalltag belebt und über einfache technische Mittel (Lautsprecheranlage) regelmäßig im Schulgebäude ausgestrahlt werden kann.

In sendefertigen Beiträgen von Schülerproduktionen für das Bürgerradio ist die Nachricht das “Transportmittel” für eigene und für wichtig erachtete Mitteilungen an den Hörer.

3.2.2 Interview

“Wer systematisch fragt, führt oft bereits ein Interview. Informationen über Personen, Vorgänge und persönliche Standpunkte werden im Gespräch ermittelt. Doch im Funk dient das Interview nicht allein der Recherche, es ist gleichzeitig eine geeignete und beliebte Form der Darstellung. Das Interview veranschaulicht etwa eine Meinung, erhellt einen komplexen Zusammenhang, gibt Auskünfte zur Person des Befragten etc.” (ebd. S.32). Die Fragestellungen können dabei “offen” oder “geschlossen” sein. Beispiel: “Was halten Sie von der Durchführung eines Radioprojekts an Ihrer Schule?”. Diese Frage läßt verschiedene Standpunkte zu und ist deshalb eine “offene” Frage, weil die Antworten frei formuliert werden können (wenig suggestive Elemente). “Möchten Sie ein Radioprojekt an Ihrer Schule durchführen?” ist eine sog. “geschlossene” Frage. Sie läßt i.d.R. nur ein Ja oder Nein als Antwort zu und führt das Interview in eine “Sackgasse”. Die “offene Fragestellung” ist in jedem Fall vorzuziehen.

Die genannten typischen Merkmale eines Interviews sind besonders geeignet, dem Lernbehinderten zu helfen und ihn zu fördern. Er erhält die Möglichkeit, sich auf der verbalen Ebene Informationen zu verschaffen, er lernt anschaulich und im direkten Gespräch (im günstigen Fall durch eine plastische und anschauliche Darbietung des Interviewten) Vorgänge und Abläufe von Dingen kennen, die er sonst nur schwer nachvollzieht, er lernt zuzuhören und andere Standpunkte zu verstehen, er lernt, andere Menschen und deren Eigenarten kennen- und einzuschätzen. Wie diese Möglichkeiten, die das Interview beim Radiomachen anbietet, fördermäßig genutzt werden können, wird in Punkt 4.3 erläutert.

3.2.3 Umfrage

Die Umfrage ist eine Erhebung ohne repräsentativen Charakter. Sie soll es auch nicht sein. Sie zeigt jedoch einen Querschnitt unterschiedlicher Standpunkte zu einem Thema oder einer Frage. Sie kann aufgrund der Originalität der Aussagen eine Sendung auflockern und ein Thema einleiten. Sie bereichert also im weitesten Sinne des Wortes und macht einen Sendebeitrag interessant (vgl. ebd, S.32).

Die Umfrage hat in der Ausbildungsphase der Schüler einen wichtigen Stellenwert. Sie sollte den ersten Kontakt mit dem Medium Radio und der Reportageeinheit (Aufnahmegerät) ermöglichen. Die Umfrage ermöglicht einen spontanen und zugleich spannenden Zugang. Die Antworten und auch die Interviewpartner sind in der Regel nicht vorhersehbar. Mißerfolge bei der Aufnahme (Interviewter verweigert sich, Antwort zu knapp oder unbefriedigend, laute Nebengeräusche) werden schnell wieder durch das Abhören und schneiden der brauchbaren Antworten relativiert. Der Interviewer und seine Arbeitsgruppe kann die Aufnahmen sofort abhören und bearbeiten. Diese Arbeitsweise kommt gerade dem Lernbehinderten entgegen, der vielfach ungeduldig die Ergebnisse seiner Arbeit einfordert.

3.2.4 Gebauter Beitrag

Der gebaute Beitrag bezeichnet eine Darstellungsform, die am häufigsten vorkommt. “Folgen wir empirischen Untersuchungen, so können nur etwa drei Prozent aller Hörerinnen und Hörer die Argumentation eines reinen Sprechtextes von mittlerer Länge richtig wiedergeben. Auch kürzere Beiträge werden daher meist durch Einblendung von Originaltönen hörerfreundlich gestaltet. Ist der Sprechertext also durch den Mitschnitt eines Statements (Interviews), durch Musik oder Geräusche illustriert, so handelt es sich um einen gebauten Beitrag” (ebd. S.34; Hervorhebungen im Original).

Sprechertexte (eigene Statements), Originaltöne (O-Töne), Musik, archiviertes Material, Geräusche u.a. können in einem Beitrag zusammengeschnitten werden. Sie beleben den Beitrag und machen ihn hörbar und interessant. Der Hörer bleibt länger “mit dem Ohr dran”. Die Schüler sollten Beispiele von gebauten Beiträgen hören. Sie werden sehr schnell im Vergleich zu anderen Sendeformen (Präsentationen) die Unterschiede hören und eigene Vorschläge für die Produktion von gebauten Beiträgen machen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten der Schüler ist der gebaute Beitrag ideal geeignet. Gruppenarbeit wird gefördert und Frustrationserlebnisse werden geringer. Die Anerkennung in der Gruppe kann möglich werden, da der Einzelne seinen konstruktiven Anteil beitragen kann.

3.2.5 Hörspiel

“Aus der Übertragung von Theateraufführungen entwickelte sich mit der Zeit das Hörspiel. Mit den Elementen des Radios - Wort und Stimme, Musik und Geräusche - wird hier eine Spielsituation simuliert” (ebd. S.36).

Das Hörspiel stellt für die Einbindung in die Radioarbeit mit Schülern einer Lernbehindertenschule einige wichtige Elemente zur Verfügung. Der spielerische Charakter, die nonverbalen Elemente, das spontane Agieren, fördern die Spontaneität und das sinnliche Erleben. Diese Elemente können also bei bestimmten Störungsbildern als Fördermittel dienen (s.a. Kapitel 4). Es ist jedoch zu bedenken, daß die visuelle Präsentation fehlt. Die Reduktion auf die akustische Ebene erfordert an manchen Stellen in der Produktion ein Abstraktionsvermögen, daß ggf. den Lernbehinderten überfordern kann. Hilfestellung in der Dramaturgie und während der Realisation im Studio oder vor Ort ist dann entweder dringend notwendig, oder wird von erfahreneren Schülern geleistet (z.B. in einer Arbeitgemeinschaft). Die Fähigkeiten und Interessenslage in der Lerngruppe muß letztendlich entscheiden, ob die aufwendige Produktion eines Hörspiels realisiert werden kann. Die Zusamenarbeit mit den Fächern Musik und Physik bietet sich hier an.

4 Didaktisch-methodische Planung

Die Entwicklung unserer Gesellschaft zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft ist hinlänglich bekannt. Die Trends zur verstärkten Mediennutzung sind unverkennbar und somit wesentlicher Bestandteil des Lebens von Kindern und Jugendlichen. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung bemerkt dazu treffend: “Medien sind heute integrativer Bestandteil gesellschaftlicher Wirklichkeit; sie gehören zum Alltag von Familie und Schule. Medien sind Miterzieher geworden. Sie können Kommunikation erleichtern und bieten Orientierung an. Medien greifen Themen des gesellschaftlichen Lebens auf und wirken sich so stark auf die persönliche Lebensgestaltung schon in früher Kindheit und Jugend aus, daß Bildung und Erziehung in Elternhaus und Schule tiefer und unmittelbarer als früher betroffen sind” (Bund-Länder-Kommission; S.7). Weiter heißt es: “Die Schule hat bisher der Medienvielfalt Rechung zu tragen versucht

- durch eine systematische Einbeziehung von Presse, Rundfunk und Film sowie der elektronischen Medien in den Unterricht und die Gestaltung des Schullebens, [...]
- durch die Einführung der informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung mit dem Ziel, Vertrautheit und Sicherheit im Umgang mit den elektronischen Medien aufzubauen,
- durch eine verstärkte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Botschaften der Medien” (ebd. S.7 u. 8).

Dieser Forderung der Bund-Länder-Kommission nachzukommen ist notwendiger denn je. Medienkonsum und somit auch Manipulation sind einerseits gesellschaftiche Realität - der sich die Schule stellen muß - , andererseits bieten sie Ansatzpunkte didaktischer Planungen, die Schüler befähigen sollen, sich gerade diesen Herausforderungen von Konsum und Manipulation zu stellen; denn: “Ambivalent gesehen werden muß, daß Medienereignisse für Kinder und Jugendliche oft einen höheren Stellenwert gewinnen als Ereignisse aus der unmittelbaren Umgebung und der ‘realen Welt’. Dabei verspricht die Medienwelt angesichts einer Umgebung, in der oft Spiel- und Bewegungsräume fehlen, Abenteuer und Entdeckungen, sie scheint gewohnte oder veränderte Familienstrukturen, fehlende gemeinsame Aktivitäten sowie reale Nähe und Zuwendung ersetzen zu können.” (ebd. S.12)

4.1 Kinder/Jugendliche und ihre Hörfunkgewohnheiten

Der überwiegende Teil der Kinder und Jugendlichen verfügt in seinem unmittelbaren häuslichen Kontext über Fernsehen, Radio, Kassettenrecorder, Walkman, CD-Player u.a. Versucht man jedoch in entsprechenden Studien, die Hörgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen zu analysieren, so kommt Erstaunliches zutage: Das Medium Hörfunk hat einen hohen Stellenwert für die Heranwachsenden. Die Vermutung, daß das Fernsehen immer den ersten Platz im Medienkonsum belegt, ist falsch.

Georg Hinz formuliert dies in seiner Diplomarbeit zum Bürgerradio in der sozialen Arbeit so: “In einer Studie aus dem Jahr 1986 wird aufgeführt, daß dreiviertel aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei denen ein Radiorecorder im Haushalt vorhanden ist, angeben, daß das Gerät ihr persönlicher Besitz ist. Auch die Ergebnisse der Jugendmedienstudie 1989 bestätigen, ‘daß an erster Stelle der Besitz eine Radiorecorders (69,4%) zu nennen ist’. Hierbei scheint besonders die doppelte Nutzungsmöglichkeit, nämlich der Programmempfang und das Abspielen oder Bespielen von Cassetten, für Jugendliche attraktiv zu sein.

Aufgrund einer Untersuchung von Dieter Baacke (1990) kann man davon ausgehen, daß fast 90% der Jugendlichen im Besitz eines Radios sind.

In einer Umfrage, in der Jugendliche die Medien nennen sollten, auf die sie am wenigsten verzichten wollten, lieferten sich die auditiven Medien (Radio Hifi-Geräte) ein Kopf an Kopf Rennen mit dem Fernsehen. Während das Fernsehen auf 33% kam, wurden Hifi und Radio immerhin je 19,8% mal genannt (insgesamt 39,6%)” (G.Hinz, S.82 u. 83)

Ergänzend dazu beschreibt Bernd Schorb Hörfunkgewohnheiten von Jugendlichen so: “Hörmedien werden von Jugendlichen stark genutzt, so intensiv, daß man davon sprechen kann, daß ein Gutteil der Lebenswelt Jugendlicher eine Hörwelt ist. Mit dem Eintritt in die Pubertät und der verstärkten Zuordnung zur Gruppe der Gleichaltrigen, der sog. peer group, wenden sich Jugendliche auch verstärkt den Hörmedien zu. In jeder Weise erhalten die Hörmedien im Alter zwischen dreizehn und neunzehn Jahren ein verstärktes Gewicht” (Schorb in: Palme, Hans-Jürgen u. Schell, Fred (Hrsg.); S.13).

Abschließend sei eine Untersuchung von Opaschowski angeführt, die die Zukunft des Mediums Hörfunk und die Bedeutung dieses Mediums für Heranwachsende belegt und deutlich macht, wie wichtig die Einbeziehung dieses Themas in den schulischen Kontext ist:

“Die Tatsache, daß das Radio einen hohen Stellenwert bei der Jugend zu haben scheint und sich gegen die Konkurrenz des Fernsehens behauptet, ist auf das veränderte Freizeitverhalten der Jugendlichen zurückzuführen. So gehört Radiohören zu den häufigsten medialen Freizeitbeschäftigungen, wobei Horst W. Opaschowski aus seinen Untersuchungsergebnissen in einer Zukunftsskizzierung prognostiziert, daß das Radio zu den Hauptgewinnern des Jahres 2000 gehören wird, da der Fernsehkonsum seine Sättigungsgrenze erreicht hat. ‘Wenn der Trend anhält, können im Jahre 2010 die Einschaltquoten im Radio genauso hoch wie die Einschaltquoten im Fernsehen sein ‘ ” (Hinz, Georg; S.83).

4.2 Richtlinien und Lehrpläne

Die Beschäftigung mit dem Thema “Schülerradio” steht unter der Prämisse des “Machens”. Die Schüler sollen das Medium Radio handelnd erfahren und begreifen. Die Produktion von Radiobeiträgen beinhaltet dabei sowohl die technischen, als auch die inhaltlichen Elemente. Es bietet sich somit eine fächerübergreifende und projektorientierte Unterrichtsplanung an. Die Richtlinien für die Sonderschule für Lernbehinderte gehen nicht ausdrücklich auf das Thema Massenmedien ein. Sie lassen jedoch im Fächerkanon Ansätze für die Beschäftigung mit dem Radio zu.

Die allgemeinen Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) gehen in diesem Zusammenhang von folgender Aufgabe für die Schule für Lernbehinderte aus: “Die Fähigkeiten des Schülers müssen trotz seiner Lernschwierigkeiten so weit entwickelt werden, daß er lernt, in der sich verändernden Industriegesellschaft Verhaltensweisen zu entwickeln, mit denen er in Beruf, Freizeit und Gesellschaft bestehen kann”. (Kultusministerium, Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte (allgemeine), S. 7). Die “sich verändernde Industriegesellschaft” wurde oben bereits näher beschrieben und die sich daraus ableitenden Konsequenzen für den Unterricht erläutert. Hilfen können für die Schüler darin bestehen, “daß die Schüler angeleitet werden, sich Lösungsversuche vorzustellen und ggf. sowohl bildhaft und handelnd als auch sprachlich entsprechend ausführen” (ebd. S. 17). Der handelnde und sprachliche Aspekt der o.g. Hilfen für die Schüler im Umgang mit der Radioproduktion wird in den folgenden Kapiteln/Abschnitten ausführlich dargelegt.

Die Richtlinien für das Fach Deutsch sprechen in diesem Zusammenhang von der “Fähigkeit, sich durch Sprache mitzuteilen” und “Fähigkeit zur Verwendung von Sprache als Orientierungs-, Denk- und Handlungshilfe” (Kultusministerium, Richtlinien und Beispielplan Deutsch, S.6). Weiter heißt es, daß die

“ -Erziehung zur allgemeinen Sprechbereitschaft und zur freien Rede;

[...] -Erweckung und Steigerung der akustischen Aufmerksamkeit und Konzentration” (ebd. S. 10).

gefördert werden sollen. Im Rahmen der “Gesprächserziehung-mündliche Kommunikation-Sprecherstrategien” (ebd. S.25) kann die Befragung (vgl. ebd. S.25) eine sinnvolle Strategie sein, Sprecherziehung zu leisten. Das Medium Radio bietet hier vielfältige Möglichkeiten, Sprachstrategien zu entwickeln (s.a. 4.3).

Die Richtlinien und Beispielpläne für die Fächer Physik/Chemie gehen nicht weiter auf Massenkommunikationsmittel und deren Funktionsweise ein. Lediglich der Hinweis auf technische Dinge und der Bezug zur Umwelt der Schüler wird hier genannt (vgl. Kultusministerium, Richtlinien und Beipielpläne für die Fächer Physik/Chemie, S. 7).

Die Beispielpläne für den Sachunterricht gehen nur allgemein mit den Begriffen “Lebensbewältigung” (Kultusministerium, Richtlinien und Beispielpläne für den Sachunterricht, S.7) “-Bereitschaft zur Übernahme von Aufgaben” und “-Um­welterfahrungen zu verarbeiten” (ebd. S. 7) auf das Thema Medien ein. Die “Bereitschaft zur Übernahme von Aufgaben” zeigt sich in der arbeitsteiligen Unterrichtplanung/-durchführung in Form von Gruppenunterricht und wird unten (s. 4.5) näher erläutert. Die Forderungen “Umwelterfahrungen verarbeiten” und “Lebensbewältigung” als Ziel von Unterricht ist durch die Einbeziehung des Themas Radioproduktion mit Schülern gegeben. Zur Umwelt der Schüler gehört das Medium Radio (s.o. 4.1) und der handlungsorientierte und kritische Umgang mit ihm (s.u.).

(Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Lehrpläne für die Primarstufe im Sachunterricht hier konkret auf den Mediengebrauch und die Medienwirkung eingehen und dies als Aufgabenschwerpunkte sehen [Hinz, Ute; S.23]. Im Rahmen der curricularen Entwicklung für die Sonderschule für Lernbehinderte wäre eine Einbeziehung dieser Aspekte sinnvoll und erstrebenswert.)

4.3 Das Radio als Fördermaterial

Sowohl die kognitive als auch die praktische Auseinandersetzung mit dem Medium Radio erfordert bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für Schüler Motivation sein können, weil dies nicht im Rahmen des üblichen Fachunterrichts geschieht, sondern die Produktion und vor allem die Ausstrahlung eines Rundfunkbeitrags in Aussicht gestellt wird. Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten können sein

- das Zuhören-Können (beim Interviewpartner)
- das Artikulieren-Können (in der Produktionsgruppe, beim Interview, während der Moderation, bei der Vorplanung)
- das Texte-Lesen-Können (während der Moderation, bei der Vorplanung, in der Produktionsgruppe)
- das Technik-Beherrschen-Können (mit der Aufnahmeeinheit, im Studio, beim Schneiden)
- das Aufeinander-Zugehen-Können (in der Produktionsgruppe, beim Interview)
- das Miteinander-Arbeiten-Können (in der Produktionsgruppe, beim Interview)
- das konzentrierte Arbeiten über einen längeren Zeitraum nach sachlichen Gesichtspunkten (in der Planungsphase, beim Interview, im Studio, in der Auseinandersetzung mit der Technik, in der Realisationsphase)
- feinmotorische Fertigkeiten im Umgang mit Aufnahmetechnik und beim Schneiden.

Diese Anforderungen, die an die Produktion von sendefertigen Rundfunkbeiträgen zu stellen sind, bieten im Unterricht Möglichkeiten, vorhandene Defizite bei den lernbehinderten Schülern durch spezifische Fördermaterialien auszugleichen. Das “Radiomachen” hat einen hohen Aufforderungscharakter bzgl. praktischen Tuns (Handlungskompetenz) und kognitiver Auseinandersetzung. Es fördert den sensomotorischen Bereich (Verbesserung der taktilen Wahrnehmung, Feinmotorik), die Kommunikation/Sprache (Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, der sprachlichen Konzentration, des Wortschatzes und der Ausdrucksfähigkeit), das Sozialverhalten (durch Team-/Gruppenarbeit, kommunikative Auseinandersetzung, Kommunikation mit fremden Menschen), die Kog­nition/das Denken (durch plan- und zielorientierte Auseinandersetzung mit einem Thema, Förderung der sprachlichen Kompetenz), die Emotionalität (Verbesserung der Selbst- und Fremdwahrnehmung, Stärkung des Selbstvertrauens) (s.a. Kapitel 4.3.1).

In einer Schriftenreihe der Landesstelle für Katholische Jugendarbeit und der BDKJ Landesarbeitsgemeinschaft Bayern mit dem Titel “Paloma” (“Partizipation durch lokale Medienarbeit”) wird von Bernd Schorb auf drei Ziele der Medienpädagogik verwiesen, die in der Medienpädagogik mit Lernbehinderten eine zentrale Rolle spielen. Diese Ziele heißen: authentische Erfahrung, kommunikative Kompetenz und handelndes Lernen.

- “Authentische Erfahrung ist jene, die die Menschen ohne die Vermittlung der veröffentlichten Meinung machen. Sie steht im Gegensatz zu den medialen Angeboten der bewußtseinsproduzierenden Industrie, deren Funktion die Legitimation und Fixierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Authentische Erfahrung überwindet dieses vorgefertigte Bewußtsein. Ziel ist unter den gegebenen Gesellschaftsverhältnissen die Herstellung einer Gegenöffentlichkeit zu der von wenigen Konzernen beherrschten Öffentlichkeit” (Schorb, S.18). Neben diesem hoch gesteckten Ziel nach “Herstellung von Gegenöffentlichkeit” (ebd.) ist es für den lernbehinderten Schüler wichtig, echte (authentische) und erfahrbare Auseinandersetzungen mit dem “Radiomachen” zu erleben, da gerade er auf das konkret Erfahrbare angewiesen ist, um einen Lernzuwachs zu erfahren und in der späteren Auseinandersetzung mit und in unserer Gesellschaft bestehen zu können.
- Die kommunikative Kompetenz wird von Schorb beschrieben mit drei Komponenten: 1. Die Reflexion und analytische Komponente bezeichnet die Fähigkeit, Massenmedien in ihrem Wesen zu begreifen, um dann Reflexionsprozesse in Gang zu setzen, die es ermöglichen, Manipulation und Abhängigkeit zu überwinden. 2. Die kreative Komponente bezeichnet die Fähigkeit, den herrschenden Kommunikationsstrukturen eigene und somit andere entgegenzusetzen. 3. Die kommunikative Komponente bezeichnet die Fähigkeit zur reflektierten Erfahrungsbewältigung und -darstellung (vgl. Schorb, S.18, 19). Diese Forderungen Schorbs decken sich mit der Auffassung von Schaller und Schmidtke, die die Kommunikationsstörung als “mangelnde oder unangemessene Teilnahme am sozialen Geschehen” (Schaller, Schmidtke; S.2) benennen. Das Medium Radio bietet die Möglichkeit, miteinander (im schulischen Rahmen) und mit Fremden (in der Gesellschaft) in Kommunikation zu treten und eröffnet dem Lernbehinderten mit Kommunikationsstörungen (s.a. Kapitel 4.3.1), diese zu überwinden.
- Das handelnde Lernen ist für Schorb die tätige Aneignung eines Gegenstandsbereichs in der sozialen Realität. Handeln und Reflexion bilden dabei eine Verbindung, die auf die Aneignung von Realität ebenso zielt, wie auf die aktive Mitgestaltung und letztendlich Veränderung. Die Praxis aktiver Medienarbeit ist für Schorb der Gegenpol zu theoretischen Lehrsätzen (vgl. Schorb, S. 19).

Handlungsorientierter Unterricht ist an der Schule für Lernbehinderte von besonderer Bedeutung. Die Schüler fordern und erwarten die erfahrbare, begreifbare und somit am konkreten Handeln orientierte Stoffvermittlung. Bach fordert hier zutreffend: “Hinsichtlich der Unterrichtsmittel bedeutet das für den Lehrer, daß er sozusagen täglich eine Tasche voll Welt in die Schule mitzubringen hat [...] ” (Bach, S. 26; Hervorhebung im Original). Diese “Tasche voll Welt” ist im vorliegenden Fall das Medium Radio (aus der Lebenswelt der Schüler) und der praktisch-handelnde Umgang mit ihm (s.a. Kapitel 4.4).

[...]

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten und Grenzen der Medienerziehung an einer Sonderschule für Lernbehinderte am Beispiel des Experiments "Schüler machen Radio"
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1
Autor
Jahr
1997
Seiten
72
Katalognummer
V185444
ISBN (eBook)
9783656980698
ISBN (Buch)
9783867463409
Dateigröße
1695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
möglichkeiten, grenzen, medienerziehung, einer, sonderschule, lernbehinderte, beispiel, experiments, schüler, machen, radio
Arbeit zitieren
Helmut Zilliken (Autor:in), 1997, Möglichkeiten und Grenzen der Medienerziehung an einer Sonderschule für Lernbehinderte am Beispiel des Experiments "Schüler machen Radio", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185444

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