Systemisches Customer-Relationship-Management in den neuen Medien.

Innovative Kundenbindungsprogramme


Diplomarbeit, 2002

107 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Diese Arbeit widme ich meinen Eltern, die mich Zeit meines Lebens in allen Belangen unterstützt haben und ohne die mein Studium und diese Arbeit nicht möglich gewesen wären. Danke Mutter, danke Vater.

Universität - Gesamthochschule Siegen

Fachbereich 3: Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften

Integrierter Diplomstudiengang

Medien-Planung, -Entwicklung und -Beratung

Systemisches

Customer-Relationship-Management

in den neuen Medien

Innovative Kundenbindungsprogramme

Vorgelegt von:

Oliver Fuhrmann

1. Einleitung

„The customer can have any color he wants as long as it is black."

Henry Ford

Dieses klassische Zitat von Henry Ford stammt aus einer Zeit, in der man der Kundenorientierung anscheinend keinen großen Stellenwert einräumte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Hochzeit der Industrialisierung gaben den Unternehmen auch keinen Grund, von der Strategie der Produktorientierung abzuweichen. Doch vieles hat sich seitdem geändert: In Zeiten von gesättigten Märkten, der wirtschaftlichen Globalisierung und zunehmender Wettbewerbsintensität wird es für Unternehmen immer schwieriger sich über ihre Produkte auf dem Markt zu behaupten (vgl. Hippner/Wilde 2002: 5). Der Kunde rückte in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Forschung. „Wie kann man den Kunden zufriedenstellen und somit langfristig an ein Unternehmen binden?“ und „Welchen wirtschaftlichen Nutzen bringt eine Kundenbindung für das Unternehmen?“ waren Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt wurden. Es entwickelten sich konkrete ökonomische Strategien, die zunehmend den Kunden in den Fokus unternehmerischen Handelns rückten. Diese Entwicklung gipfelt heute in der Unternehmensphilosophie des „Customer Relationship Management“ (CRM) und deren Internet-basierten Variante „Electronic Customer Relationship Management“ (eCRM). CRM und eCRM gehören zu den zurzeit meistdiskutierten Schlagworten der aktuellen Marketingpraxis. Eine empirische Studie unter 150 vorwiegend mittelständischen und großen Unternehmen zeigt, dass dem Thema von allen Unternehmensbereichen eine hohe Bedeutung zugemessen wird (vgl. Eggert/Fassott 2001: 3). Customer Relationship Management umfasst dabei die gesamte Interaktion eines Unternehmens mit bestehenden und zukünftigen Kunden während des gesamten Kaufentscheidungsprozesses und Besitzzyklus. Dabei herrschen noch signifikante Meinungsverschiedenheiten darüber, welcher Nutzen aus einer langfristigen

Kundenbindung für die Unternehmen resultiert und wie diese zu realisieren ist. Eine streng ökonomisch ausgerichtete Perspektive auf eine dauerhafte Kunden-Lieferanten-Beziehung lässt viele Fragen bezüglich des Kunden als sozialem Wesen unbeantwortet.

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Diese Arbeit analysiert Customer Relationship Management aus systemtheore- Sicht. Die Systemtheorie, als wohl zurzeit einzige Supertheorie, bietet sich als Plattform an, da sie es vermag, Systemphänomene unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen miteinander zu verbinden (vgl. Stahl 2000: 390). Anhand des systemischen Zugangs zu der Beziehung zwischen Kunde und Lieferant soll geklärt werden, welche Möglichkeiten und welche Probleme sich daraus ergeben, einen Kunden durch CRM dauerhaft an ein Unternehmen zu binden. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, wie das Internet, spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie eröffnen dem Unternehmen neue Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Kunden und versetzen das Unternehmen durch innovative Kundenbindungsprogramme in die Lage, mehr über den Kunden zu erfahren. Es nimmt somit nicht wunder, dass gerade der online-basierten Variante des Customer Relationship Management (eCRM)

ein besonders starkes Wachstum vorausgesagt wird (vgl. Eggert/Fassott 2001: 3).

flussen. Anschließend wird untersucht, wie sich diese Einflüsse auf die Welten des Systems Kunden-Lieferanten-Beziehung auswirken.

Die in Kapitel drei festgestellten Einflussmöglichkeiten des Anbieters zur Erlangung und Aufrechterhaltung einer dauerhaften Kundenbeziehung werden im vierten Kapitel in ihrer Realisierung durch die Managementphilosophie Customer Relationship Management erörtert. Dabei werden die Gründe für die Entwicklung des CRM genannt, CRM wird definiert, und seine Ziele werden erläutert. Anschließend werden der Aufbau eines CRM-geführten Unternehmens und eine Lösung der Boundary-Role-Person-Problematik durch die systemtheoretische Dimension des CRM dargestellt.

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit eCRM, der online-basierten Variante des CRM. Es werden weitere Möglichkeiten zur Kundenbindung durch die elektronische Variante des CRM genannt und anhand eines Vergleichs ihrer drei gemeinsamen Merkmale - Individualisierung, Interaktion und Integration - eine symbiotische Beziehung zwischen beiden festgestellt. Die anschließende systemtheoretische Betrachtung des eCRM beschäftigt sich mit der Lösung des Datenauthentizitätsproblems, welches im vierten Kapitel durch CRM festgestellt wurde.

Im Folgenden wird auf die Ursachen und das breite Meinungsspektrum der Strategien Kundenorientierung und Kundennähe eingegangen. Um die Zusam-

menhänge einer Kunden-Lieferanten-Beziehung detaillierter betrachten zu können, wird diese Beziehung dann in Anlehnung an Stahl in eine systemtheoretisch-konstruktivistische Perspektive eingeordnet. Dabei werden zunächst die Kunden-Lieferanten-Beziehung als System im Einzelnen begründet und die Komponenten des Systems erörtert. Die Eigenschaft der Synreferenzialität des Systems erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise der Welten des Systems Kunden-Lieferanten-Beziehung. In diesem Zusammenhang werden die Innenwelt, die fokale Außenwelt und die unverständliche Außenwelt unterschieden und untersucht. Schließlich werden erste theoretische Schritte der Nutzenfaktoren einer systemtheoretischen Betrachtungsweise der Kunden-Lieferanten-Beziehung dargestellt.

kundengerechtes Denken und Handeln im eigenen Unternehmen zu fördern und zu leben“ (Schmidt 1992: 53).

Folgt man der Auffassung von Pümpin und Koller, darf Kundenorientierung jedoch nicht als „dominierende Komponente, sondern muss vielmehr als ein alle Bereiche erfassendes, eben verbindendes Grundprinzip“ (Pümpin/Koller 1986: 485) verstanden werden. Es wird vor einer Dominanz der Kundenorientierung gewarnt, die negative Konsequenzen in der Produktion oder der Qualität des Produktes mit sich bringen könnte (vgl. ebenda: 484). Oppositionelle Ansätze, wie die von Kühn, raten sogar davon ab, „Kundenorientierung als Element eines Marketingbegriffes“ (Kühn 1991: 100) zu sehen und fordern, sich endlich dieses „alten Zopf[es; O.F.]“ (ebenda) zu entledigen. Die oben genannten Aussagen zur Kundenorientierung zeigen das breite Meinungsspektrum zu diesem Thema. Kundenbindung ist als Mittel zur Umsatz-oder Gewinnsteigerung eines Unternehmens also keineswegs unumstritten. Berücksichtigt man nun zusätzlich den Begriff der Kundennähe, werden die teils wenig konkreten und stark konträren Vorstellungen noch undeutlicher. Denn dann gehören Qualität, Zuverlässigkeit, Kundendienst, technischer Stand der Produkte und wiederum kundenorientierte Mitarbeiter zu den wichtigen Aspekten der Kundenorientierung (vgl. Albers/Bauer/Eggert 1987: 8). Schließlich wird Kundennähe von Teilen industrieller Märkte auch als „Ergebnis äußerer Zwänge" (Stahl 2000: 387) empfunden. Diese äußern sich durch Neue operative Techniken (z.B. Lean-Production, just in time); Organisatorische Konzepte und Probleme (z.B. Total Quality Management, der Ruf nach „mehr Innovationen"); Wettbewerbsfaktoren (z.B. Zeit, Service);

Situative Probleme (z.B. steigende Unsicherheit, Beschleunigung des Wandels). Die Anpassung an diese Zwänge führe somit mehr oder weniger automatisch zu einer größeren Kundennähe (vgl. Homburg 1995: 309ff.; Homburg nach Stahl 2000: 387).

Um die Strategie der Kundenorientierung in ihrer Gesamtheit erfassen zu kön- bedarf es einer Sichtweise, welche die Ziele und den Nutzen klar herausstellt. Diese Sichtweise muss den gesamten Prozess zwischen Kunde und Lieferant einbeziehen. Somit könnten die oben genannten Aspekte auf deren

jeweilige Ursachen, die zu den unterschiedlichen Einschätzungen führen, ge- überprüft, und Fehlinterpretationen vermieden werden. Dies erfordert allerdings, Kundenorientierung sowohl aus einem soziologischen, als auch aus einem ökonomischen Blickwinkel betrachten zu können, ohne in Widersprüche zu geraten.

Die Systemtheorie, als wohl zurzeit einzige Supertheorie, bietet sich hier als Plattform an, da sie es vermag, ähnliche Systemphänomene unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu integrieren (vgl. Stahl 2000: 390) 1 .

Um sich der Kunden-Lieferanten-Beziehung aus systemtheoretischer Perspek- zu nähern, soll hier mit Stahl Kundenorientierung „als Grundhaltung aller Unternehmensmitglieder definiert werden, die einen sustainable fit mit jedem Einzelnen oder zumindest jedem als beziehungsfähig 2 definierten Kunden anstreben" (Stahl 2000: 387f.). Der sustainable fit 3 transponiert die Kunden-Lieferanten-Beziehung auf eine von den tatsächlichen Gegebenheiten abstrahierende Metaebene und grenzt sich somit vom Marketingmix ab (vgl. Albers/Eggert 1988: 11). Er ist sowohl Prozess als auch Zustand und steht für das Streben aller individuellen und organisatorischen Möglichkeiten, einen dauerhaften fit mit dem Kunden zu erreichen.

Um diesen sustainable fit veranschaulichen zu können, sei hier auf die Metapher „Schlüssel und Schloss" 4 (vgl. Wofrum 1993: 62ff.) näher eingegangen. Die Schlüssel entsprechen den Möglichkeiten einer Unternehmung, die Schlösser den sich bietenden Gelegenheiten, Kundenbeziehungen einzugehen. Ein Schlüssel kann seine Funktion nur erfüllen, wenn auch ein entsprechendes Schloss existiert. 5 Ist dies der Fall, so stellt das Öffnen eines Schlosses die Wahrnehmung einer Gelegenheit dar und das Verschließen eines solchen die

Fixierung der Kundenbindung 6 . Es gibt Spezialschlüssel und Dietriche, welche die „Kernkompetenzen" 7 eines Unternehmens darstellen. Dabei darf auch nicht die Fähigkeit außer Acht gelassen werden, sich notwendige Schlüssel zu beschaffen, sie nachzuahmen oder selbst zu entwickeln. Schlüssel wie Schlösser können mit der Zeit verschleißen, ausgewechselt oder unbrauchbar werden.

keit einer KL-Beziehung. Unter Systemwürdigkeit wird in dieser Arbeit die Erfül- systemtheoretischer Kriterien für die Bildung eines Systems verstanden.

Geschäftsbeziehungen stellen sich als Ergebnis von Interaktionsprozessen zwi- Mitgliedern verschiedener Organisationen 9 dar und müssen von ökonomischen Zielen geleitet sein. Geschäftsbeziehungen beginnen mit dem ersten Geschäftsabschluss (vgl. Diller/Kusterer 1988: 211f.). Es finden zwar schon vor diesem Zeitpunkt Interaktionen zwischen den Geschäftspartnern statt, jedoch existieren dann noch keine bestimmten Erwartungen gegenüber und Erfahrungen mit dem jeweiligen Partner. Geschäftsbeziehungen sind also solche Beziehungen, „von denen sich alle Beteiligten zumindest langfristig wirtschaftliche Vorteile gemäß dem jeweiligen Zielsystem versprechen." (Diller/Kusterer 1988: 212).

Die Nachhaltigkeit eines Geschäftsabschlusses ist also als notwendiger Aspekt einer Geschäftsbeziehung und somit auch einer KL-Beziehung mit systemischem Charakter zu sehen.

Luhmann begreift jeden sozialen Kontakt als System (vgl. Luhmann 1987: 33), oder zumindest als ein System „besonderer Art“ (Luhmann 1972: 45). Dies wird durch Luhmanns Universalitätsanspruch deutlich, der sich darin äußert, den gesamten Gegenstand der Soziologie erfassen zu wollen und der im Zusammenhang der KL-Beziehung zu vernachlässigen ist. Weil einmalige Interaktionen oder Kontakte oft folgenlos für die beteiligten Systeme bleiben, haben sie schwerlich Systemcharakter, und deshalb soll für einen sozialen Kontakt mit einmaligem oder episodischem Charakter in Anlehnung an Willke der Begriff des Quasi-Systems (vgl. Willke 1993: 76) gebraucht werden. Ein Quasi-System ist extrem gegenwartsbezogen und regellos. Werden die Beziehungen der Elemente jedoch intensiver, nachhaltiger, produktiver und regelmäßiger, so entsteht daraus ein System. Handlungsfolgen können nun systemgerecht der Beziehung zugerechnet werden (vgl. Stahl 2000: 393; Willke 1993: 79f.). Umgangssprachlich würde man diesen Sachverhalt dann so umschreiben, dass eine Beziehung „gut bzw. schlecht läuft" oder eine Beziehung „in der Krise steckt bzw. Zukunft hat".

Neben der Eigendynamik sozialer Systeme, der Nachhaltigkeit einer Ge- und der Differenz zwischen Quasi-System und System gibt es eine weitere Möglichkeit, die Systemwürdigkeit der KL-Beziehung herauszustellen. Merton bietet drei Kriterien zur Bildung von Gruppen im soziologischen Sinne an, welche sich auch auf Systeme anwenden lassen. Danach wird eine Gruppe als eine „Anzahl von Menschen bezeichnet, die nach festen Mustern miteinander interagieren" (Merton 1995: 273). Dies ist bei einer KL-Beziehung offensichtlich der Fall.

Des Weiteren müssen die Personen einer Gruppe sich selbst als Mitglieder bezeichnen. Sie müssen also bestimmte Erwartungsmuster in Bezug auf die Interaktionsformen haben, die für Mitglieder bindend sind, für Außenstehende jedoch nicht. Betrachtet man dazu den allgemeinen Sprachgebrauch einer KL-Beziehung (z.B. „Wir bauen unsere Beziehung zur Firma X aus") oder Rituale (z.B. das Zelebrieren eines Jubiläums einer Geschäftsbeziehung), so wird deutlich, dass eine KL-Beziehung auch dieses Kriterium erfüllt (vgl. Stahl 2000: 393).

Schließlich muss laut Merton ein Außenstehender das System in gleicher Weise definieren, wie die Mitglieder des Systems. Dies stößt bei der Adaption au die KL-Beziehung zunächst auf Schwierigkeiten. Merton weist allerdings darauf hin, dass es zwischen formalen Gruppen, bei welchen dies explizit geschieht, und informellen Gruppen, bei welchen dies eher durch das Verhalten ausgedrückt wird, zu unterscheiden gilt (vgl. Merton 1995: 273). Betrachtet man eine KL-Beziehung als informelle Gruppe, so wird durch das Verhalten der „Konkurrenz" (z.B. das „Einbrechen" in eine bestehende Geschäftsbeziehung oder konträr dazu das Respektieren einer bereits etablierten Geschäftsbeziehung) der Gruppencharakter einer KL-Beziehung deutlicher. Zusammenfassend sprechen hinreichende Argumente für die Systemwürdigkeit einer KL-Beziehung: Die Eigendynamik sozialer Systeme Die Nachhaltigkeit einer Geschäftsbeziehung Die Differenz zwischen Quasi-System und System Die Kriterien zur Gruppenbildung nach Merton Begreift man die KL-Beziehung folglich als System, stellen sich die Fragen nach den Komponenten des Systems, inwieweit das System die Kriterien der Selbsterzeugung, Selbsterhaltung, Selbstveränderung und Selbstreferenzialität erfüllt

und was die Innen- und Außenwelt(en) des Systems KL-Beziehung ausmacht. Diese Fragestellungen sollen in den folgenden Kapiteln beantwortet werden.

duen, die durch ihre kognitiven Leistungen die Bildung von sozialen Systemen überhaupt erst möglich machen 10 .

ihr inneres Interesse am Fortbestand" (vgl. Stahl 2000: 395). KL-Beziehungen sind in ihrer Systementstehung als eine Sonderform zu sehen, auf die im weiteren Verlauf noch genauer eingegangen wird.

Luhmann spricht Systemen eine Selbstreferenzialität zu, wenn diese die Fähigkeit besitzen, „Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt“ (Luhmann 1987: 31). Auch KL-Beziehungen agieren auf Grund der Erfahrungen ihrer Komponenten, so wie z.B. dem Gehirn als selbstreferenziellem System nur die eigenen Zustände zur Verfügung stehen. Man darf jedoch nicht den dominierenden Einfluss der jeweils eigenen Organisation übersehen (vgl. Stahl 2000: 396). Aus dieser Perspektive betrachtet ist deshalb die Selbstreferenzialität des Systems KL-Beziehung nur relativ zur Selbstreferenzialität von anderen sozialen Systemen zu sehen.

Offensichtlich scheint eine KL-Beziehung bei Betrachtung der oben genannten Kriterien nicht eindeutig in das „traditionelle Schema“ zu passen. Eine Lösung zu dieser Problematik bietet Hejl, der davor warnt, durch die Anwendung eines solchen Schemas auf soziale Systeme in einen Biologismus zu verfallen. Hejl schlägt stattdessen für soziale Systeme eine eigene Klasse von Systemen vor: die synreferenziellen Systeme. Diese bestehen aus einer Menge von Individuen, die erstens gemeinsame Wirklichkeitskonstruktionen ausgebildet haben und in Bezug auf diese handeln und interagieren können. Zweitens werden die Wirklichkeitskonstrukte hauptsächlich in den Systemen selbst erzeugt und weiterentwickelt (vgl. Hejl 1993: 113; 1987: 303ff.). Vergleicht man nun die drei wesentlichen Merkmale synreferenzieller Systeme mit den Charakteristika von KL-Beziehungen, kommt man zu folgenden Ergebnissen: Die Komponenten eines synreferenziellen Systems sind Individuen 15 . Somit müssen die Individuen einer KL-Beziehung, sofern sie eine aktive Rolle einnehmen, nicht in die Umwelt „verbannt“ werden. Die Organisationen eines synreferenziellen Systems sind die Interaktionsmuster der Komponenten. Hierbei besteht die Tendenz, ein einmal ausgebildetes Verhalten so lange wie möglich fortzusetzen 16 . Bei einer KL-Beziehung zeigt sich dieses Verhalten z.B. in der Loyalität

des Kunden, in der Ausbildung eines Beziehungs-Involvements oder gar einer Beziehungskultur. Der Austausch eines synreferenziellen Systems mit seiner Umwelt findet über seine Komponenten statt. Umweltereignisse lösen dabei Veränderungen im System selbst aus, welches sich dann entsprechend anpasst. In einer KL-Beziehung lässt sich dies anhand der Ü- berbrückungsfunktion zeigen, welche die Individuen dieses Systems innehaben (vgl. Kap. 2.2.3.1).

2.2.3.1 Die Innenwelt

Für Stahl umfasst die Innenwelt einer KL-Beziehung „alle Relationen zwischen den Aktoren der KL-Beziehung und ihren (angestammten) Organisationen" (Stahl 2000: 397). Über diese Kopplungen ist das System KL-Beziehung mit den Erfahrungen und Erwartungen der beteiligten Organisationen verbunden. Diese Kopplungen haben die Funktion des boundary spanning, sie leisten also eine Überbrückung der Distanz zwischen den beteiligten Organisationen und dem System KL-Beziehung.

Personen, die für das boundary spanning zuständig sind, werden als boundaryrole-persons, im Folgenden BRPs genannt, definiert (vgl. Arndt 1979: 73) 17 . Bei zunehmendem Geschäftsumfang und höherer Komplexität sowohl auf der Kunden-, als auch auf der Lieferantenseite, bilden mehrere BRPs eine boundary spanning unit (BSU) 18 .

Das boundary spanning lässt zum einen neue KL-Beziehungen über die Zwi- von Quasi-Systemen entstehen, zum anderen ist es für den Erhalt bestehender Systeme bzw. der KL-Beziehungen zuständig. Durch diese Doppelfunktion werden an die boundary role person höchst widersprüchliche Erwartungen gestellt, die durch das Zusammenwirken der Distanzüberbrückung, der Repräsentationsfunktion und des Einflusspotenzials der BRP entstehen. Stahl bezeichnet dieses Phänomen als „BRP-Dilemma", dessen drei Faktoren im Folgenden erläutert werden sollen, da sie im Zusammenhang mit Kundenbindungsprogrammen durch CRM und eCRM eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Distanzüberbrückung

Die Distanzüberbrückung als Notwendigkeit zur Erfüllung der Aufgaben einer BRP ergibt sich „aus der Arbeitsteiligkeit und damit Ausdifferenzierung der Systeme sowie aus der physischen Distanz zwischen einer BRP und ihrer Organisation" (Stahl 2000: 398). Das heißt, die BRP nimmt auf Grund ihrer Überbrü- ckungsfunktion zwischen zwei Systemen eine größere Distanz zum eigenen System ein und arbeitet in gewisser Hinsicht auch im Interesse des anderen Systems. Durch die dafür benötigte größere Autonomie, die andere Systemmitglieder nicht besitzen, wächst auch die soziale Distanz zum eigenen System. Das Misstrauen der eigenen Organisation zur BRP wächst somit, und der Ruf nach mehr Kontrolle wird laut. Gleichzeitig ist die BRP nicht mehr in der Lage einzuschätzen, wie ihre Leistungen von der eigenen Organisation interpretiert werden, und die Distanz zur externen Organisation wird verkürzt. Schränkt das Unternehmen nun die Autonomie der BRP ein, so stellt es deren Überbrückungsfunktion in Frage, weitet es sie hingegen aus, läuft es Gefahr, die Kontrolle über die BRP zu verlieren und somit die eigenen Interessen aus den Augen zu verlieren.

Repräsentationsfunktion

Das Unternehmen zu repräsentieren, bürdet der BRP eine Doppelfunktion auf. In erster Linie erwartet man von ihr, die Ziele, Einstellungen, Werte und Normen

ersetzt, da sie zu sehr auf die Kaufentscheidung abzielen, und so dem nachhaltigen Charakter einer KL-Beziehung nicht gerecht werden (vgl. Stahl 2000: 397).

der eigenen Organisation, verbunden mit Selbstdarstellung, der externen Orga- unverzerrt zu vermitteln. Die BRP betreibt impression management. Die zweite Funktion wird durch die externe Organisation begründet, welche erwartet, dass auch ihre Ziele, Einstellungen, Normen und Werte möglichst unverzerrt in die andere Organisation einfließen. Die BRP muss hier also context management betreiben.

Auf Grund ihrer autonomen Stellung kann die BRP nun vielfältige Wirklichkeitskonstruktionen ausbilden, wohingegen „die eigene Organisation Komplexitätsreduktion durch Selektivität anstrebt" (Stahl 2000: 398). Beispielsweise kann die BRP aus Gründen des Selbstschutzes die Außenwelt verzerrt wiedergeben, um Kundenverluste gegenüber der eigenen Organisation zu rechtfertigen. Sie kann auch die Wirklichkeit der eigenen Organisation verzerrt darstellen, um den Einfluss auf die externe Organisation zu verstärken 19 .

Einflusspotenzial

Die BRP kann durch Nutzung ihres Einflusspotenzials versuchen, langfristig optimale Ergebnisse für die eigene Organisation zu erzielen. Dabei ist es jedoch möglich, dass sie den Vertrauensvorschuss der eigenen Organisation verliert, wenn diese die gegenwärtigen Prozesse den zukünftigen gegenüber als wichtiger betrachtet. Nur wenn die eigene Organisation den „Schatten der Zukunft über die Gegenwart" (vgl. Axelrod 1988: 11) internalisiert hat, wird die Bedeutung von langfristig optimalen Ergebnissen entsprechend gewürdigt werden können 20 .

Einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, scheint auf den ersten Blick un- In Kapitel 4.5 wird darauf eingegangen, inwiefern diese Problematik auf das Customer Relationship Management zutrifft und welche Lösungen sich aus den Kommunikations- und Datenverarbeitungsmöglichkeiten dieser Unternehmensstrategie ergeben können.

2.2.3.2 Die fokale Außenwelt

Diese Welt wird von Stahl als eine informale Beziehungsnetz-Struktur beschrieben, „in die die KL-Beziehung über eine besonders hohe Interaktionsdichte und/oder Interaktionswertigkeit eingebunden ist" (Stahl 2000: 399). Dabei steht nicht die Kosten-Nutzen-Relation im Vordergrund, sondern die Informationsverflechtungen mit den „Elementen der gegenseitigen Beobachtung und Signalgebung" (ebenda).

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Abbildung 1: Beispielhafte Visualisierung eines Netzausschnitts, innerhalb dessen sich die fokale Außenwelt einer KL-Beziehung entwickeln kann. Quelle: Stahl 2000: 399; leicht abgewandelte Darstellung 21 .

Eine geeignete Visualisierung eines beispielhaften Beziehungsnetzes bietet die Grafik von Stahl (vgl. Abbildung 1). Betrachtet man die Instanzen, die als nicht hierarchisch zu verstehen sind, so wird deutlich, dass sich dieses Netz von strategischen oder verfassungsgeregelten Netzwerken unterscheidet und sich durch seine Verflechtungen von diesen abgrenzt.

Durch die informelle und signalgebende Verknüpfung der Elemente zeigt sich ein typisches Merkmal solcher Netze: Die gleichzeitige Stabilität und Wechselhaftigkeit.

Die Stabilität entsteht durch die gegenseitige Abhängigkeit der Beziehungen im Netz. Zum Beispiel steht in Abbildung 1 die System-Hygiene GmbH in Interdependenz zu den Sicherheitsingenieuren, die zur Instanz der Meinungsführer zählen. Das Unternehmen ist darauf angewiesen, dass die Ingenieure eine positive Haltung ihm gegenüber einnehmen. Die Ingenieure ihrerseits sind, überspitzt formuliert, auf die Produkte der GmbH angewiesen, um überhaupt ihrer Tätigkeit nachkommen zu können.

Die Wechselhaftigkeit gründet sich auf die Konsequenz, die sich aus dem „Einfordern impliziter Austauschvereinbarungen" (Stahl 2000: 400) ergeben kann. Setzt die System-Hygiene GmbH im Bereich des technischen Großhandels nur eine unzureichende Menge ab, so wird sie sich andere Handelspartner in diesem Segment suchen oder gar ihre Aktivitäten auf die übrigen Handelskanäle beschränken müssen.

Mueller umschreibt das Phänomen der Wechselhaftigkeit folgendermaßen: „Hat man selbst nicht genug anzubieten oder der Netzwerkpartner erwartet sogleich oder später zuviel an Gegenleistung, dann fehlt die Grundlage für den Netzwerkaustausch" (Mueller 1988: 54).

ness nämlich nur in einem geringen Maße gegeben, ist die Entscheidung, un- mit irrelevant gleichzusetzen, mit hohen Risiken verbunden.

2.3 Der Nutzen einer systemisch-konstruktivistischen Betrach- der KL-Beziehung

Nachdem die Systemwürdigkeit der KL-Beziehung geklärt und deren Bestandteile und Beziehungen analysiert wurden, bleibt die Frage zu beantworten, welcher Nutzen sich durch die systemisch-konstruktivistische Betrachtungsweise für die als dauerhaft klassifizierte KL-Beziehung ergibt. Ohne die Erkenntnisse vorwegzunehmen, die sich in den späteren Kapiteln durch die systemische Analyse von Customer Relationship Management und seiner elektronischen Variante eCRM ergeben, seien hier bereits folgende Aspekte erwähnt:

KL-Beziehungen können als Spezialfälle sozialer Systeme behandelt werden. Somit entsteht Raum für neue Denkansätze, die traditionelle Konstrukte in Frage stellen können und nach eigenen Modellen verlangen. Durch die Gegenüberstellung der systemisch-konstruktivistischen Darstellung einer KL-Beziehung mit konventionellen Ansätzen können neue Erkenntnisse gewonnen werden 22 . Durch die Interdisziplinarität der systemisch-konstruktivistischen Denkweise ist es möglich, auf Theorien anderer Wissenschaftsdisziplinen zurückzugreifen und diese zu integrieren. Die Systemtheorie behauptet keinen Absolutheitsanspruch auf die „einzig richtige Sicht der Dinge“. Begreift man dies nicht als Schwä- che, sondern als Chance, wirkt man dem naiven Glauben entgegen, „Die-Dinge-im-Griff-zu-Haben“ (Stahl 2000: 401). Die Reflexivität der systemisch-konstruktivistischen Anwendung fördert das Verständnis, individuell auf Geschäftsbeziehungen eingehen zu müssen.

3. Kundenzufriedenheit und Kundenbindung

Nachdem durch die systemische Perspektive auf die Kunden-Lieferanten- deren grundsätzliche Zusammenhänge und Abläufe aufgezeigt wurden, wird nun näher auf die Elemente Kunde und Lieferant bzw. Unternehmen eingegangen. Dabei steht die Frage nach der Kundenzufriedenheit als Voraussetzung für Kundenbindung im Mittelpunkt. Welche Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung existieren, wird im folgenden Unterkapitel diskutiert. Es wird davon ausgegangen, dass das Produktinvolvement, das Wettbewerbsumfeld, die Produkteigenschaften, die Eigenschaften des Käufers und die Aktivitäten des Anbieters den Zusammenhang Kundenzufriedenheit und Kundenbindung maßgeblich moderieren.

An diese Analyse schließt sich eine systemtheoretische Betrachtung des Systems KL-Beziehung unter Berücksichtigung der oben genannten Zusammenhänge an. Die Innenwelt, die fokale Außenwelt und die unverständliche Außenwelt als betroffene Dimensionen des Systems werden hierbei näher besprochen.

Durch diese Definition kann somit zwischen einer nachfrager- und einer anbie- Sichtweise unterschieden werden. Dies spielt im Zusammenhang mit dem Begriff Kundenloyalität insofern eine Rolle, als dass dieser lediglich eine nachfragerbezogene Perspektive beinhaltet. „Kundenbindung kann hingegen sowohl auf Nachfrager- als auch auf Anbieterseite existieren.“ (Homburg/Bruhn 1999: 8). Es wird weiterhin deutlich, dass zwischen dem bisherigen Verhalten des Kunden und dessen zukünftigen Absichten unterschieden wird und beide Aspekte in die Kundenbindung integriert werden. Das tatsächliche Verhalten beinhaltet hierbei den Wiederkauf sowie positive Mund-zu-Mund-Propaganda (Weiterempfehlung) durch den Kunden. Unter den zukünftigen Absichten des Kunden sind abermals Wiederkauf, Cross-Buying- (Kauf anderer Produkte des Unternehmens) und Weiterempfehlungsabsichten zu verstehen (vgl. ebenda). Der wiederholte Kauf ebenso wie die Weiterempfehlung eines Produktes durch den Kunden werden zur Kundenneugewinnung und Imagepflege also besonders betont.

Das Streben vieler Unternehmen nach größerer Kundenzufriedenheit hat in den letzten beiden Jahrzehnten ständig zugenommen. Auf wissenschaftlicher Seite befassen sich seither viele Publikationen mit den Determinanten und Messmethoden von Kundenzufriedenheit. Auch in der Unternehmenspraxis sieht man die Steigerung von Kundenzufriedenheit als die zentrale Herausforderung der heutigen Zeit an (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 83). Dies ist an verschiedenen Faktoren, wie etwa der Implementierung von Kundenzufriedenheitsmanagement, Customer-Care-Programmen und dem Total Quality Management, um nur einige Beispiele zu nennen, nachvollziehbar. Dabei wurde implizit von der Annahme ausgegangen, dass zufriedene Kunden auch treue Kunden sind und somit dem Unternehmen durch Wiederkauf, positive Mund-zu-Mund-Propaganda etc. wirtschaftliche Vorteile verschaffen. Dass dieser Zusammenhang jedoch keineswegs vorausgesetzt werden darf, darauf verweisen Aussagen von Stum/Thiry, Gierl und Jones/Sasser 23 . Demnach schützt Zufriedenheit der Kunden keineswegs vor deren Abwanderung zur Konkurrenz, und gerade zufriedene Kunden gehören laut Gierl zu "dauerhaften Markenwechslern" (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 83). Stolpmann berichtet in diesem Zusammenhang von Untersuchungen, die belegen, dass 85

Prozent der ehemaligen Kunden mit den Leistungen ihres Unternehmens durchaus zufrieden waren. Gut zwei Drittel davon konnten nicht einmal einen spezifischen Grund für ihren Wechsel nennen (vgl. Stolpmann 2000: 40). Kundenzufriedenheit ist zwar weiterhin unbestritten eine wichtige Voraussetzung für Kundenbindung, jedoch kein Garant für diese. Deshalb erscheint es notwendig, den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung differenzierter zu sehen.

Eine Analyse dieser Thematik findet sich bei Homburg/Giering/Hentschel, die nach Sichtung der relevanten Literatur zu dem Ergebnis kommen, dass sich die funktionale Form des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung im Wesentlichen auf einen sattelförmigen Verlauf und einen progressiven Verlauf konzentriert (siehe Abbildung 2).

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Abbildung 2: Vermutete funktionale Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung Quelle: Homburg/Giering/Hentschel 1999: 98; leicht abgewandelte Darstellung 24 .

Beim Vergleich der Funktionen wird ersichtlich, dass beide Funktionen im obe- rechten Bereich einen starken Anstieg verzeichnen. Bei hoher Kundenzufriedenheit würde somit ein geringer Zuwachs der Kundenzufriedenheit zu einem starken Anstieg der Kundenbindung führen. Es bleibt weiterhin festzuhalten, dass beide Funktionen einen positiven Zusammenhang zwischen

Kundenzufriedenheit und Kundenbindung unterstellen. Eine größere Kundenzu- führt zu einer stärkeren Kundenbindung. Der Indifferenzbereich des linken Diagramms ist dabei zu vernachlässigen, da er keine Relevanz für die besprochene Thematik aufweist.

Über die Auswirkungen auf die Kundenbindung im „Anfangsstadium“ der Kundenzufriedenheit kann jedoch keine eindeutige Aussage getroffen werden. Gerade aber dieser Bereich, der überhaupt erst eine gefestigte Kundenbindung entstehen lässt, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für effektive Kundenbindungsprogramme, wie im weiteren Verlauf noch gezeigt wird 25 . Es darf vermutet werden, dass der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung nicht immer gleich stark ausgeprägt ist. Dies würde auch die Differenzen der beiden oben erläuterten Funktionen erklären. Untersuchungen hierzu sprechen von so genannten „moderierenden Variablen“ (Homburg/Giering/Hentschel 1999: 99), die je nach ihrer Intensität den Zusammenhang verstärken oder abschwächen (siehe Abbildung 3).

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Abbildung 3: Moderierende Größen des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung Quelle: Homburg/Giering/Hentschel 1999: 99. Diese Einflussfaktoren lassen sich unter mannigfaltigen Forschungsperspektiven betrachten. Das Spektrum reicht hier von klassisch-ökonomischen bis hin zu neoinstitutionenökonomischen Ansätzen (vgl. Weinberg 1999: 41). Im Folgenden wird zur Analyse der Faktoren eine verhaltenswissenschaftliche Per-

spektive gewählt, da sie der Schilderung des Systems KL-Beziehung aus sozio- Perspektive am ehesten entspricht.

3.1.1.1. Die Theorie der kognitiven Dissonanz

Nach der Theorie der kognitiven Dissonanz 27 streben Personen ein dauerhaftes Gleichgewicht ihres kognitiven Systems an. Dieses setzt sich aus der Summe von Kognitionen (Wissen, Erfahrungen, Meinungen) und deren Beziehungen zueinander zusammen. Man spricht von kognitiver Dissonanz, wenn die Kognitionen einer Person in Ungleichgewicht geraten, d.h. wenn eine Kognition das Gegenteil einer anderen ergibt (z.B. sind die Aussage "ich rauche" und das Bewusstsein der Tatsache "Rauchen erzeugt Krebs" deshalb dissonant, weil aus der zweiten Kognition eigentlich folgen sollte, dass man die erste Kognition aufgibt). Die psychischen Spannungen, denen die Person daraufhin ausgesetzt ist, führen dazu, dass wieder ein Gleichgewicht der Kognitionen angestrebt wird 28 . Dissonanz erzeugt also die Motivation bei einer Person, konsonante Beziehun-

gen wieder herzustellen und somit die Dissonanz abzubauen. Diese Motivation resultiert jedoch nur unter zwei Bedingungen in Dissonanzabbau: Zum einen muss die kognitive Dissonanz eine individuell unterschiedliche Toleranzschwelle überschreiten (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 90) und zum anderen muss sie auf Freiwilligkeit 29 beruhen. Letztere Bedingung stützt sich darauf, dass Dissonanz nur unter der Voraussetzung der Freiwilligkeit entstehen und als Folge davon auch nur durch Freiwilligkeit wieder reduziert werden kann. Die Beziehung zwischen Dissonanz und Kundenzufriedenheit ist nun folgendermaßen zu verstehen: Hat der Kunde ein Produkt erworben und ist zufrieden mit seinem Kauf, befindet er sich in einem kognitiven Gleichgewicht. Um dieses zu erhalten, wird er sich, so die Theorie, treu verhalten und kognitive Dissonanzen vermeiden, indem er das gleiche Produkt wiederkauft. Ergänzend zu erwähnen ist, dass laut Festinger die Dissonanzreaktion in der Nachkaufphase umso stärker ist, je bedeutender die Entscheidung für die Person war, oder mit anderen Worten: Der Kunde wird sich in der Nachkaufphase durch Dissonanzreduktion umso markentreuer verhalten, je bedeutender der Produktkauf für ihn war 30 .

Die Relevanz dieser Lerntheorie für Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ist so offensichtlich wie simpel: Ist ein Kunde zufrieden mit dem Kauf, wird dies als „Belohnung“ interpretiert und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Kunde das Produkt erneut kauft bzw. der Marke treu bleibt. Homburg/Giering/Hentschel gehen des Weiteren davon aus, dass die Kundenbindung steigt, je „kontinuierlicher der Kunde diese positive Verhaltensverstärkung erfährt“ (Homburg/Giering/Hentschel 1999: 91).

finanzielle (eventuelle Wechselkosten werden vermieden) und das funktionelle, indem man sich persönliche Vorteile 32 verspricht.

Laut Homburg/Giering/Hentschel besteht in der Literatur Übereinstimmung darüber, dass das Involvement des Kunden von dem Ausmaß des von ihm empfundenen Risikos abhängt. Herrscht beim Kunden ein geringes Involvement bei der Produktwahl, so empfindet er auch ein geringes Risiko beim Kauf, während ein hohes Involvement ein hohes Kaufrisiko mit sich bringt (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 92). Hier ist eine Parallele zur Theorie der kognitiven Dissonanz festzustellen, welche im hauptsächlichen die Markentreue bei hohem Involvement durch starke Dissonanzreduktion begründet (vgl. Kapitel 3.1.1.1).

3.1.2 Wettbewerbsumfeld

Das Wettbewerbsumfeld spielt im Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die jeweilige Wettbewerbskonstellation kann den Zusammenhang entweder verstärken oder aber abschwächen. Faktoren, die hierbei eine Rolle spielen, sind die Anzahl der wahrgenommenen Alternativen, die Dynamik des jeweiligen Marktes und die

Akquisitionsaktivitäten der Mitbewerber (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 100).

Steigt die Anzahl der Alternativen für den Kunden, wird es ihm leichter fallen, das Produkt ohne großes Restrisiko zu wechseln. Dies wird umso wahrscheinlicher, je mehr das Konkurrenzprodukt den subjektiv wahrgenommenen funktionellen, finanziellen, sozialen und psychischen Anforderungen des Kunden entspricht.

Bei hoher Marktdynamik kann der Kunde von einer ebenso hohen Innovationsdynamik ausgehen. Somit verkürzt sich die Zeitspanne, in welcher der Kunde ein gleichwertiges oder sogar höherwertiges Produkt der Konkurrenz erwarten kann. Der Wiederkauf des Produktes wird somit innerhalb einer kürzeren Zeitspanne unwahrscheinlicher.

Nicht zuletzt können auch die Akquisitionsaktivitäten der Mitbewerber den Wettbewerbsdruck verstärken und/oder die Markentreue verringern. Somit kann folgende Interdependenz erwartet werden: Der Zusammenhang

zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ist umso schwächer ausgeprägt, je stärker die Wettbewerbsintensität des jeweiligen Marktes ist.

Es kann somit vermutet werden, dass der Zusammenhang zwischen Kundenzu- und Kundenbindung umso stärker ist, je höher die technologischen und informationsbedingten Wechselbarrieren sind.

In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Kundenzufriedenheit allerdings zu relativieren. Die oben bereits angedeutete unfreiwillige Abhängigkeit des Kunden vom Produkt kann auch zu einer Kundenunzufriedenheit führen. „Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich nach dem Eingehen einer durch Wechselbarrieren abgesicherten Geschäftsbeziehung für den Kunden bessere Alternativen ergeben“ (Eggert 2001: 95). Eggert konnte in einer empirischen Untersuchung nachweisen, dass Kunden in einer solchen Situation eine Intensivierung der Geschäftsbeziehung ablehnen und den Anbieter seltener weiterempfehlen als im Zustand der Verbundenheit (ebenda). Bliemel/Fassott sprechen von einem Zustand der „Gebundenheit“ (im Gegensatz zum Zustand der Verbundenheit), in dem sich der Kunde befindet. Er wird dann die Wechselbarrieren nur akzeptieren, wenn er sich Vorteile davon verspricht. Der Kunde muss also „in die zukünftige Leistungsfähigkeit und das Verhalten des Anbieters vertrauen, dass dieser ihn im Zustand der Gebundenheit nicht ausnutzt“ (Bliemel/Fassott 2000: 13). Eine Aufgabe, die auf Anbieterseite sicherlich großer Anstrengungen bedarf, zumal ein Anbieter, welcher mit der Strategie der Gebundenheit arbeitet, nicht erhaltenes Vertrauen nur anhand der Abwanderung des Kunden zur Konkurrenz feststellen kann. Bliemel/Fassott schreiben dem Unternehmen hier eine „Bindungsunsicherheit“ zu, die abschreckend wirkt, wenn sie nicht durch Vertrauen überwunden werden kann. Demzufolge sollte sich der Anbieter nicht nur auf Wechselbarrieren verlassen, sondern auch Maß- nahmen zur Sicherstellung der Kundenzufriedenheit ergreifen (vgl. Bliemel/Fassott 2000: 13; Wamser 2000: 75).

Bezieht man zusätzlich die Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Kap. 3.1.1.1) mit ein, so wird ersichtlich, dass der Käufer unfreiwilligerweise in seiner Entscheidung und an dem Versuch, Dissonanz zu reduzieren, gehindert wird. Durch hohes Produktinvolvement erreichte Kundenzufriedenheit kann durch technologische oder informationsbedingte Wechselbarrieren zunichte gemacht werden. Die Möglichkeit des Kunden, unter alternativen Produktangeboten wählen zu können, scheint ein unterschätzter Faktor im Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu sein.

3.1.4 Eigenschaften des Käufers

Einen wichtigen, jedoch schwer messbaren Faktor für die Kundenbindung stellt das Individuum, also der Käufer bzw. Kunde selbst, dar. Hier zeigen zahlreiche Studien, dass „beispielsweise sozioökonomische Charakteristika des Käufers Auswirkungen auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung haben“ (Homburg/Giering/Hentschel 1999: 101). Es kann davon ausgegangen werden, dass generell die Markentreue bei älteren Personen stärker ausgeprägt ist. Diese Personengruppe wird als weniger risikobereit und weniger flexibel eingestuft (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996: 396). Die Neigung zu habituellem Verhalten in dieser Altersschicht wird auch von Homburg/Giering/Hentschel festgestellt. Bei älteren Menschen ist treues Verhalten selbst dann stärker ausgeprägt, wenn sie einmal unzufrieden sind (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 101).

Jedoch existieren auch teils widersprüchliche Meinungen zum Thema Markentreue, wenn man die Eigenschaften des Käufers hinsichtlich des Einkommens bzw. des sozialen Status vergleicht: Kroeber-Riel/Weinberg gehen davon aus, dass Markentreue stärker bei Personen mit geringem sozialen Status ausgeprägt ist. Dies wird mit dem geringen Informationsverarbeitungsniveau weniger gebildeter Personen und ihrer Unsicherheit beim Einkauf begründet (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996: 396). Homburg/Giering/Hentschel vermuten dagegen, dass bei Kunden mit höherem Einkommen die Zufriedenheit das Hauptentscheidungskriterium zum Kauf ist, da sie weniger finanziellen Restriktionen ausgesetzt sind (vgl. Homburg/Giering/Hentschel 1999: 101) 33 . Führte man diesen Ansatz fort, würde dies bedeuten, dass zufriedene Kunden mit einem höheren finanziellen Einkommen die treueren Kunden sind, da sie durch ihr Hauptentscheidungskriterium der Zufriedenheit weniger anfällig für negativ moderierende Einflussfaktoren, wie beispielsweise ein starkes Wettbewerbsumfeld oder ein schwaches Produktinvolvement, sind. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Teilmenge der beiden oben genannten Personengruppen - Personen mit hohem finanziellen Einkommen und Personen mit geringen

sozialem Status - nur sehr gering ist, kann hier keine eindeutige Aussage über deren Markentreue getroffen werden.

Neben den sozioökonomischen Faktoren spielen psychische Merkmale des Käufers eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung. Hier sei das individuell unterschiedlich stark ausgeprägte Motiv des „Variety Seeking“ 34 genannt. Dabei steht für den Käufer nicht die Zufriedenheit mit dem Produkt im Vordergrund, sondern das Bedürfnis nach Abwechslung, das durch den Kauf von Alternativprodukten befriedigt wird (vgl. Meixner 2000: 1). Abschließend lässt sich bezüglich der Eigenschaften des Käufers Folgendes annehmen: Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ist umso stärker ausgeprägt, je höher das Alter des Kunden ist und je schwächer das Motiv des Variety-Seeking bei ihm ausgeprägt ist.

Es lässt sich feststellen, dass der Zusammenhang zwischen Kundenzufrieden- und Kundenbindung umso stärker ist, je gezielter der Anbieter durch seine Aktivitäten die Bindung seiner Kunden anstrebt.

Zusammenfassend lässt sich über den Zusammenhang von Kundenzufrieden- und Kundenbindung sagen, dass dieser keineswegs eine positiv-lineare Funktion beschreibt, wie oft fälschlicherweise unterstellt wird. Die Komplexität der Thematik, die aus den teilweise noch wenig empirisch erforschten „moderierenden Größen“ (siehe Abbildung 3) resultiert, verlangt anbieterseitig an das Produkt und die Zielgruppe angepasste Maßnahmen zur Kundenbindung. Wie die vorigen Kapitel jedoch gezeigt haben, liegen nicht alle Größen innerhalb des Rahmens der Einflussmöglichkeiten des Anbieters. Das Wettbewerbsumfeld, die Eigenschaften des Käufers und zum Teil auch das Produktinvolvement sind größtenteils fremdbestimmt und lassen sich meist auch nur ansatzweise identifizieren.

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Systemisches Customer-Relationship-Management in den neuen Medien.
Untertitel
Innovative Kundenbindungsprogramme
Hochschule
Universität Siegen
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
107
Katalognummer
V185822
ISBN (eBook)
9783656981978
ISBN (Buch)
9783867467018
Dateigröße
1630 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
systemisches, customer-relationship-management, medien, innovative, kundenbindungsprogramme
Arbeit zitieren
Oliver Fuhrmann (Autor:in), 2002, Systemisches Customer-Relationship-Management in den neuen Medien. , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185822

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