Auswirkungen von Online-Medien auf Tageszeitungen - Fallbeispiel Niedersachsen


Diplomarbeit, 2001

79 Seiten, Note: 2


Leseprobe

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1. Einleitung

2. Märkte für Tageszeitungen und Online-Medien

3. Auswirkungen auf den Wettbewerb

4. Fazit und Ausblick

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Vorwort

 

Das Aufeinandertreffen der Online-Medien mit den klassischen Medien hat mit der rasanten Entwicklung der vergangenen sechs Jahre im Online-Bereich einen Strukturwandel der Medienwirtschaft los getreten. Schnell wurde das neue Medium als Konkurrenz für Verlage im Konsumenten- und Werbemarkt identifiziert, gleichzeitig bietet es aber auch Chancen für die Weiterentwicklung der Tageszeitung und Expansionspotenziale. Verlage von Tageszeitungen in Niedersachsen haben schon früh die Bedrohung des neuen Mediums für ihr Print-Geschäft wahrgenommen und entsprechende Reaktionsstrategien entwickelt. Eine durchgängige Strategie, welche sich die vielfältigen Möglichkeiten des Internets offensiv zunutze macht, ist allerdings bei den Verlagen nicht erkennbar. Außerdem wurden Strategien in der Vergangenheit aufgrund der sich rasch ändernden Marktbedingungen und der vielen Unsicherheiten immer wieder verworfen und neu definiert.

 

Einen strategischen „Königsweg“ für Verlage versuche ich in dieser Arbeit auch nicht zu finden. Statt dessen werden unterschiedliche Ansätze beleuchtet, mit denen die Verlage aufgrund ihrer jeweils eigenen Stellung im Markt die Herausforderung Online annehmen können. Dabei kann der Fokus der Betrachtung natürlich nicht allein auf Niedersachsen verharren, vielmehr sind die Entwicklungen in einem internationalen Kontext zu beurteilen.

 

Beim Verfassen meiner Diplomarbeit hatte ich die Möglichkeit, mit der in Hannover ansässigen Verlagsgesellschaft Madsack mbH & Co KG zusammenzuarbeiten, wodurch ich bei der wissenschaftlichen Arbeit einen „Draht zur Praxis“ herstellen konnte. Neben meinem zuständigen Referenten Prof. Dr. Hübl stand mir damit Thomas Deicke, stellvertretender Verlagsleiter, als permanenter Ansprechpartner helfend zur Seite. Für die Zeit, die sie für meine Arbeit investiert haben, die inhaltlichen Anregungen, die Literaturtips und die interessanten Gesprächspartner, die mir vermittelt werden konnten, möchte ich beiden an dieser Stelle herzlich danken.

 

Thorsten Kucklick         Hannover, Juli 2001

1. Einleitung

 

„Es ist, als hätte man um ein Glas Wasser gebeten und jemand hätte einem einen Feuerwehrschlauch in den Mund gesteckt und aufgedreht!“

 

So beschrieb schon 1994 Bill Stroud, Philadelphia Newspapers, beim IFRA-Kongress[1] die Auswirkungen der sich rasant entwickelnden Computertechnologie auf die Zeitung.[2]

 

Zu jener Zeit begannen weltweit die ersten Zeitungsverlage sich im Internet zu engagieren, und heute gibt es auch in Niedersachsen kaum mehr eine Zeitung, die nicht im World Wide Web vertreten ist. Zu den Vorreitern in Niedersachsen gehörte der Madsack-Verlag, der auf alte Strukturen der Bildschirmtext-Entwicklung zurückgreifen konnte.

 

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, auf Grundlage einer theoretischen Analyse der Märkte für Tageszeitungen und Online-Medien sowie einer Beschreibung der Marktverhältnisse speziell in Niedersachsen zukünftige grundsätzliche Strategieoptionen und damit verbundene Probleme und Chancen für lokal und regional orientierte Tageszeitungen aufzuzeigen. Bei der Analyse der für Tageszeitungen und Online-Medien relevanten Märkte bleiben die Beschaffungsmärkte ausgeklammert. Besondere Bedeutung kommt in dieser Untersuchung den möglichen Beziehungen substitutiver und komplementärer Natur zwischen altem und neuem Medium zu. Fundiert wird der strategische Teil der Arbeit zudem durch Prognosen zu ökonomischen und technologischen Entwicklungen auf dem Online-Markt.

 

Den Abschluss der Arbeit bildet eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit einer Einschätzung der zukünftigen Probleme und Chancen von Tageszeitungen im Zusammenhang mit Online-Medien..

2. Märkte für Tageszeitungen und Online-Medien

 

2.1 Marktteilnehmer

 

2.1.1 Anbieter

 

Tageszeitungen

 

Zunächst ist es sinnvoll für die Betrachtungsobjekte dieser Arbeit Begriffsabgrenzungen vorzunehmen. In der Literatur lassen sich für Zeitungen beziehungsweise Tageszeitungen zahlreiche Definitionsversuche finden, die durchaus uneinheitlich sind. Die hier verwendete Begriffsabgrenzung beruht auf der Definition des Statistischen Bundesamtes. Damit gehören zu den Tageszeitungen „alle periodischen Veröffentlichungen, die in ihrem redaktionellen Teil der kontinuierlichen, aktuellen und thematisch nicht auf bestimmte Stoff- oder Lebensgebiete begrenzten Nachrichtenübermittlung dienen, also in der Regel mindestens die Sparten Politik, Wirtschaft, Zeitgeschehen, Kultur, Unterhaltung sowie Sport umfassen, und im allgemeinen mindestens zweimal wöchentlich erscheinen“[3]. Der Anbieter einer Tageszeitung ist in der Regel ein Verlag.

 

Aus technischer Sicht sind Tageszeitungen nach Schatz den Massenmedien zuzuordnen. Dabei bezeichnet er Massenmedien als technische Verbreitungsmittel für Massenkommunikation, jener Sonderform menschlicher Kommunikation, bei der ein Kommunikator seine Aussagen öffentlich, indirekt und einseitig (d.h. er kann seine Adressaten nicht beobachten) an ein Publikum, also seine Rezipienten, richtet.[4] Wird die Zeitung wie in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit Online-Medien gesehen, ist dies von Bedeutung, da es sich bei der Tageszeitung um einen asymmetrischen Ein-Weg-Kommunikationsprozess handelt[5], also ausschließlich vom Anbieter zum Leser kommuniziert wird, sieht man von Leserbriefen ab.

 

Online-Medien

 

Technische Plattform für Online-Medien beziehungsweise Online-Angebote ist das World Wide Web (WWW), das als der benutzerfreundlichste Teil des weltumspannenden Computernetzes Internet gilt. Das Bahnbrechende am Internet zur Zeit seines erstmaligen Einsatzes durch das amerikanische Verteidigungsministerium im Jahr 1969 war, dass mit Hilfe einer Art Computer-Esperanto jeder Rechner den anderen verstehen konnte.[6] Mit Hilfe dieser technischen Plattform ist es möglich, unterschiedliche Medienformate (Texte, Bilder, Video-Sequenzen, Audio-Sequenzen) als Dateien im weltweiten Netz für jedermann, der mit der nötigen technischen Infrastruktur (PC, Modem, Telefonanschluss) ausgestattet ist, zu verbreiten.

 

Seit den neunziger Jahren wird das World Wide Web zunehmend für kommerzielle Zwecke genutzt. Neben professionellen Online-Diensten mit teilweise kostenpflichtigen Angeboten nutzen auch immer mehr Unternehmen das Internet zu Marketing-Zwecken. Unter den deutschen Verlagen war 1994 der Spiegel mit seinem Online-Angebot Vorreiter, kurz danach folgten Stern, TV Today und Focus.[7]

 

Die Etablierung des Internet in der Medienlandschaft Mitte der neunziger Jahre hat eine Flut neuer Begriffe mit sich gebracht, die ebenfalls der Erklärung und Abgrenzung bedürfen. Erst in jüngerer Zeit bildet sich zunehmend eine international anerkannte Terminologie heraus.

 

Für Online-Medien gibt es nicht den klassischen Anbieter, wie bei Tageszeitungen den Verlag, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Anbieterausprägungen. Verlage und andere Medien- und Diensteanbieter werden zu häufig organisatorisch vernetzten „Content Providern“ (Inhalte-Anbietern).[8] Hinzu kommen weitere potenzielle Anbieter von Medieninhalten aus Branchen, die mit der Contentseite von Medienangeboten bislang weniger in Verbindung gebracht wurden. Unternehmen der Computer- und Telekommunikationsindustrie – Sektoren, in deren Kontext die Online-Medien entstanden sind – wollen die derzeitige Umbruchsituation dazu nutzen, ihre eigenen Geschäftstätigkeiten um die inhaltlichen Facetten des Mediengeschäfts zu erweitern. Insbesondere ist hier der Softwarekonzern Microsoft zu nennen, der mit massiven Investitionen und einer Vielzahl von Firmenkäufen versucht, neues Terrain für sich zu erobern.[9] Die Online-Angebote der unterschiedlichen Anbieter werden Websites genannt.

 

Wichtig erscheint bei den Online-Medien, dass bei ihnen im Gegensatz zu Tageszeitungen, die nur in eine Richtung kommunizieren, eine Mehr-Wege-Kommunikation möglich ist. Sowohl vom Anbieter zum Rezipienten, als auch in umgekehrter Richtung und sogar zwischen den Rezipienten kann auf der Plattform eines Anbieters oder abseits davon kommuniziert werden.

 

Damit können Online-Medien zwar die Funktionen von Massenmedien erfüllen, weisen aber gleichzeitig auch eindeutige Merkmale von Individualkommunikation auf. Die Grenzen zwischen Massen- und Individualkommunikation werden in diesem Bereich entsprechend fließend. Mit ihren oben beschriebenen Eigenschaften vereinen Online-Medien unter anderem Elemente von Printmedien, Hörfunk und Fernsehen, wodurch sie zu einem weiteren Wettbewerber im Kampf um Marktanteile der Mediennutzung werden.[10]

 

2.1.2 Nachfrager

 

Auf den Nachfrageseiten der betreffenden Märkte treten durch das Angebot der Online-Medien keine neuen Teilnehmer auf. Allerdings können nicht alle potenziellen Tageszeitungsleser auch tatsächliche Nachfrager von Online-Medien werden, da es einer technischen Grundausstattung (PC, Modem, Telefonanschluss) bedarf, um überhaupt Online-Medien konsumieren zu können, sieht man von den sog. „Internet-Cafe´s“ ab, in denen den Konsumenten jene technische Grundausstattung zum „Surfen“ im Internet entgeltlich zur Verfügung gestellt wird.

 

Die Nachfrager beziehungsweise Rezipienten von Online-Medien werden im Folgenden „Nutzer“ genannt. Diese Bezeichnung unterstreicht den aktiven Charakter des Online-Nachfragers, was ihn vom passiven Leser einer Tageszeitung in erster Linie unterscheidet. Der Nutzer „klickt“ sich mit seiner Maus durch das systematisch verzweigte Angebot sowohl eines Anbieters, als auch zu den damit „verlinkten“ Seiten.  Links sind direkte Verbindungen von einer Internet-Seite zu einer anderen. Das Massenpublikum des Tageszeitungsmarktes wird im Online-Bereich mit seinen umfangreichen Möglichkeiten zur Interaktion zu einer differenzierten, aktiv handelnden Schar individueller Nutzer.[11]

 

Während bei Tageszeitungen die Auflage das Maß für die abgesetzte Menge ist, sind es bei den Online-Medien die Visits und Pageimpressions. Ein Visit ist ein zusammenhängender Nutzungsvorgang (Besuch) eines WWW-Angebots. Pageimpressions bezeichnen die Anzahl der Sichtkontakte, also der Aufrufe verschiedener Seiten innerhalb eines Angebots, durch die Nutzer und geben damit Aufschluss über die Attraktivität des Angebots.[12] Zusätzlich gibt es im Online-Bereich noch weitere Maßzahlen für das Nachfrageverhalten der Nutzer, welche in dieser Arbeit jedoch keine Rolle spielen werden.

 

Die Zahl der tatsächlichen Nachfrager von Online-Medien erhöht sich stetig und lag im Januar 2001 bundesweit bei 24,2 Mio. Nutzern[13], während die Auflage der Tageszeitungen seit Anfang der 90er Jahre leicht rückläufig ist.[14]

 

Als Nachfrager von Werbemöglichkeiten in den Online-Medien treten potenziell alle bisherigen Nachfrager von Werbung in Tageszeitungen auf. Dies sind Unternehmen, Privatpersonen, der Staat, Verbände und andere Organisationen.[15]

 

2.2 Grundsätzliche Betrachtung von Produkt- und Wettbewerbsmerkmalen der Märkte

 

Dieser Abschnitt beleuchtet Produkt- und Wettbewerbsmerkmale auf den Märkten für Tageszeitungen und Online-Medien aus theoretischer Sicht. Da ein kennzeichnendes Wettbewerbselement der beiden Märkte die jeweils duale Marktverbundenheit (Konsumentenmarkt/Werbemarkt) ist, wird diesem Tatbestand besonders Rechnung getragen, wohingegen die Betrachtung der Beschaffungsmärkte ausgeklammert wird.

 

Im Gegensatz zum methodischen Vorgehen im größten Teil der Literatur wird hier nicht eine Gegenüberstellung des ökonomischen und des publizistischen Wettbewerbs konstruiert, sondern die für die Anbieter von Tageszeitungen und Online-Medien interessierenden Märkte, Konsumenten- und Werbemarkt, werden nacheinander unter ökonomischen Gesichtspunkten untersucht. In einem dritten Schritt werden schließlich die Interdependenzen des Konsumenten- und Werbemarktes dargestellt.

 

2.2.1 Konsumentenmarkt

 

Das von der ökonomischen Theorie gezeichnete Idealbild der vollständigen Konkurrenz wird im Markt für Tageszeitungen nicht erfüllt. Zum einen fehlt es auf dem Konsumentenmarkt an der nötigen Transparenz, und des weiteren sind die Produkte des Marktes keineswegs homogen, was in erster Linie daran liegt, dass Tageszeitungen in der Regel eine hohe regionale und lokale Informationsspezialisierung aufweisen. Auf dem Tageszeitungsmarkt kann statt dessen vom Zustand der „unvollkommenen Konkurrenz“ gesprochen werden, da die Verlage Produkte anbieten, die zwar nicht gleichartig sind, aber dem gleichen Zweck dienen können. Die Unterschiedslosigkeit zwischen den Produkten wird durch sachliche, persönliche, räumliche und zeitliche Präferenzen der Leser durchbrochen.[16]

 

Betrachtet man die realen Marktverhältnisse (siehe Abschnitt 2.3), so könnte man Tageszeitungsmärkte räumlich in sehr kleine Einheiten unterteilen, welche die Größe von Landkreisen oder einzelnen Städten haben (überregionale Tageszeitungen ausgenommen). Und hier herrscht entweder ein Monopol oder ein „Wettbewerb unter wenigen“.[17]

 

Die  beschriebene Wettbewerbskonstellation ist kaum mit der auf dem Online-Markt vergleichbar. Im Zusammenhang mit dem Internet wird dagegen oft vom vollkommenen Markt gesprochen, da eine unüberschaubare Vielzahl von Anbietern dort konkurriert, und das Internet (zumindest theoretisch) ein hohes Maß an Transparenz bieten kann. Diese Transparenz bezieht sich jedoch hauptsächlich auf Produktpreise. Da das Angebot allerdings inhaltlich äußerst heterogen und zudem absolut unüberschaubar ist, ist das Argument der Transparenz kaum haltbar. Was jedoch die Preise eines vollkommenen Marktes angeht, so gibt es zumindest ein augenscheinliches Indiz für die Existenz einer solchen Marktform, in der es für den einzelnen Anbieter nicht möglich ist, Gewinne abzuschöpfen, da ein Konkurrent die Gewinnspanne immer unterbieten kann. Wie später noch genauer untersucht wird, haben fast alle Online-Anbieter das Problem, dass (noch) so gut wie niemand bereit ist, für inhaltliche Angebote zu bezahlen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Nutzer ähnliche Inhalte im Internet immer irgendwo gratis bekommen können, wobei sich in diesem Punkt sogar schon eine Gewöhnung eingestellt hat.

 

2.2.1.1 Determinanten der Nachfrage
 

Mediennutzung

 

Welche Faktoren beeinflussen die Nachfrage nach Medien? In einer Studie kommen Weaver/Wilhoit/de Bock zu dem Ergebnis, dass die Mediennachfrage und -nutzung bestimmt wird durch sozio-demographische und situative Faktoren sowie persönliche Bedürfnisse und Motive.

 

Sozio-demographische Faktoren sind stark geprägt von gesellschaftlichen Prozessen. Derzeitige Prozesse, die Einfluss auf den Medienkonsum haben, sind beispielsweise die starke Beeinflussung durch das Fernsehen, wodurch ein erhöhter Unterhaltungsanspruch entwickelt wird, ein gesunkenes Niveau der Bildungsabschlüsse, Unverständnis gegenüber politischen Entwicklungen und ein verändertes Freizeitverhalten.[18]

 

Situative Faktoren sind eher kurzfristiger Natur und beziehen sich zum Beispiel auf den Ort, an dem sich der Konsument befindet, zu welcher Zeit dies ist oder in welchem Zustand seine Gemütslage ist.

 

Die persönlichen Bedürfnisse unterteilen sich dabei in kognitive Bedürfnisse (Beobachtungsbedürfnis, Bedürfnis, andere Meinungen kennenzulernen, Tagesplanungsbedürfnis), ablenkende Bedürfnisse (Unterhaltung, Entspannung, Zeitvertreib) und persönlich-identifizierende Bedürfnisse (Vermeidung des Einsamkeitsgefühls, Einflussbedürfnis, Selbsterkenntnis).[19] Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 1 dargestellt.

 

 

Abb.1: Einflussfaktoren der Mediennutzung[20]

 

Neben diesen Gewohnheiten ist auch die Gewöhnung an bestimmte Techniken und Technologien zu berücksichtigen,[21]  kann vom Umgang mit dem Internet im Beruf die Nutzung zuhause und die grundsätzliche Einstellung dazu abhängen.

 

Die Wahl eines Mediums durch den Konsumenten ist generell entlang von Indifferenzkurven denkbar, welche die Präferenzen des Konsumenten für ein bestimmtes Medium im Verhältnis zu alternativen Verwendungen seines monetären Budgets und seines Zeitbudgets widerspiegeln.[22] Das durchschnittliche Zeitbudget für die Nutzung von Medien hat sich in den vergangenen 20 Jahren um ca. 62 Prozent ausgeweitet.[23] Die Ursachen dafür liegen neben der Verkürzung der Arbeitszeiten sowie demographischen Entwicklungen wie dem höheren Anteil der besonders nutzungsintensiven Gruppen der ab 50-Jährigen und Nicht-(mehr)-Berufstätigen, vor allem in der Ausweitung des Medienangebots. Diese Ausweitung betraf einerseits die Angebote innerhalb einer Mediengattung, andererseits aber auch die Angebote an Medien generell.

 

Was das monetäre Budget für Medienkonsum betrifft, so liefert die ARD/ZDF-Studie leider keine Ergebnisse. Nach einer Studie des Markt Media Service der Verlagsgesellschaft Madsack ist die Bruttowertschöpfung des Mediensektors im Zeitraum zwischen 1982 und 1996 (inkl. eigener Hochrechnung)  von 23,9 Mrd. DM um 160 Prozent auf 61,9 Mrd. DM gestiegen.

 

Die inhaltlichen Präferenzen bezüglich der Nutzung von Medien können zum Beispiel politischer Natur sein und würden in diesem Fall zu einem hohen Grad an positiver oder negativer Haltung gegenüber dem Medium führen. Ähnliches bewirken Art und Ausdrucksweise, der Stil und die Aufmachung, wodurch die Vorstellung vom „Niveau“ eines Mediums geprägt wird. Auch Gewohnheiten spielen bei der Mediennutzung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

 

Nachfragedeterminanten der Tageszeitungen

 

Nach Weaver/Wilhoit/de Bock befriedigt die Zeitung vor allem das Informations- und das Planungsbedürfnis.[24] Die ARD/ZDF-Langzeitstudie „Massenkommunikation 2000“ registrierte als zentrale Zeitungsnutzungsmotive das Informationsbedürfnis, das Bedürfnis mitreden zu können und das Bedürfnis Denkanstöße zu bekommen.[25] Richter fasst unterschiedliche Studien mit dem Ergebnis zusammen, dass für die Zeitungslektüre in erster Linie rational-kognitive Motivationen vorliegen.[26]

 

Regionale und lokale Tageszeitungen werden von fast 70 Prozent der Gesamtbevölkerung gelesen. Beachtlich ist, dass die sozio-demographischen Merkmale dieser Leserschaft wie bei keinem anderem Medium weitgehend mit der Gesamtbevölkerung übereinstimmen. Deutlich unterproportional ist nur die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen vertreten (Reichweite 55 Prozent), während die qualifizierten Berufsgruppen, die Besserverdienenden und die älteren Bevölkerungsgruppen überproportional sind vertreten.[27]

 

Nachfragedeterminanten der Online-Medien

 

Aufgrund der kurzen Zeit, in der sich das Internet als Medium für breite Nutzerschichten etabliert hat, und der fortwährenden Dynamik der Branche, ist es momentan noch schwer, Aussagen zu treffen über die Motivationen, Mediengewohnheiten, Themeninteressen etc. der Online-Nutzer. Hinzu kommt, dass die Erhebungen über die Nutzerschaft, also die Nachfrageseite, noch sehr kurze Halbwertzeiten haben. Für die Anbieter ist die Situation laut Hagendorff und Pfleiderer mit der bei den Zeitungen in den dreißiger Jahren vergleichbar, als zwar grobe Informationen über Auflage und Verbreitung, aber keine genauen Kenntnisse über die Leser vorlagen.[28]

 

Unisono geht jedoch zumindest aus den bisher vorhandenen Untersuchungen hervor, dass unter den derzeit 24,2 Mio. Online-Nutzern formal höher gebildete Gruppen, Gruppen mit höherem Einkommen, Jüngere sowie Männer überproportional vertreten sind.[29] Die Zeit, die ein Nutzer täglich online ist, liegt momentan durchschnittlich bei etwa 70 Minuten. Wie die Zahl der Nutzer steigt ebenso diese durchschnittliche tägliche Nutzungszeit.[30]

 

Die am häufigsten genutzten Inhalte sind laut des Gruner + Jahr Online-Monitors „private Kommunikation“ und „berufliche Recherche und Kommunikation“. Neben Suchmaschinen und Web-Katalogen weisen die Bereiche „Multimedia-Informationen“, „Nachrichten“ und „Reise und Tourismus“ die höchsten Nutzungsdaten auf. Allerdings gibt es auch einen gesteigerten Wunsch nach regionalen und lokalen Informationen, für die sich schon jeder zweite Internet-Nutzer.[31] Allgemein kann man sagen, dass Online-Nutzer vorwiegend Interesse an den verschiedensten informations- und handlungsorientierten Nutzwertangeboten haben sowie an Entertainment und sogenannten Special-interest-Angeboten.

 

2.2.1.2 Determinanten des Angebots
 

Produkte, die den Konsumenten auf Medienmärkten angeboten werden, werden zwar faktisch wie „normale“ Konsumgüter gehandelt, jedoch weisen sie im Gegensatz zu den meisten anderen Konsumgütern drei grundsätzliche Unterschiede auf.[32] Diese sind:

 

das „Nichtbekanntsein“ des konkreten Inhalts beim Erwerb für den Konsumenten,

 

die Tatsache, dass Medieninhalte meist paketweise angeboten werden und auch so abgenommen werden müssen, zum Beispiel bei einer Tageszeitung Hauptteil plus Lokalteil plus Sportteil etc. inklusive Werbung[33] und

 

die übergreifenden und gesellschaftspolitisch relevanten Funktionen des Produkts.

 

Dabei können die Angebote von Medienunternehmen in Bezug auf den Konsumenten sowohl in einem komplementär-ergänzenden wie substitutiv-ersetzenden Verhältnis stehen.[34]

 

Wie im vorigen Abschnitt angesprochen, hat sich das Medienangebot in den vergangenen zwei Jahrzehnten drastisch ausgeweitet. Eine der Hauptursachen dafür liegt im Rundfunk-Sektor, wo Anfang der achtziger Jahre eine Art Revolution stattfand. Aufgrund eines Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 durften private Anbieter auf den Rundfunkmarkt stoßen, der vorher ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vorbehalten war. Vergleicht man allerdings diese Vervielfachung des Angebots mit dem Anstieg der Mediennutzung um 62 Prozent, wird ersichtlich, dass die Ausweitung des Angebots nicht mit der Ausweitung des Konsums parallel einhergeht. Die Nachfrageerhöhung liegt weit hinter der Angebotserhöhung. Folge dieser Entwicklung ist ein verschärfter inter- und intramedialer Wettbewerb bei gleichzeitiger Fragmentierung der Konsumenten.[35]

 

Angebotsdeterminanten von Tageszeitungen

 

Wie alle Printmedien berichtet eine Tageszeitung erst im Nachhinein über Ereignisse mittels einer Ein-Weg-Kommunikation. Diese Merkmale grenzen das Angebot neben der Tatsache, dass eine Tageszeitung auf Papier zu lesen ist und ein Online-Angebot auf dem Monitor, am stärksten von den Online-Medien ab.

 

Ein weiteres Angebotsmerkmal von Tageszeitungen ist die verhältnismäßig hohe Disponibilität. Gemeint sind damit die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit des Konsums.[36] Eine Tageszeitung kann überall gelesen werden, und sie kann auch zu jeder Zeit gelesen werden, zumindest an ihrem Erscheinungstag, wenn sie nicht an Gebrauchswert verlieren soll.

 

Nicht zu unterschätzen ist bei der Angebotsanalyse von Tageszeitungen die Fülle von Informationen, zu denen auch solche im gewichtigen Maß gehören, die den Online-Nutzer nicht interessieren beziehungsweise von denen er nicht denkt, dass sie ihn interessieren, das heißt zum Lesevergnügen von Tageszeitungen gehören auch Überraschungseffekte beim „Scannen“ über die Seiten, wobei man an Bildern oder Überschriften „hängenbleibt“. Für viele Menschen ist die Tageszeitung eben auch deshalb attraktiv, weil sie etwas erfahren, was sie nicht erwartet haben.[37]

 

Die Frage des Marktzutritts ist der nächste wichtige Punkt in Bezug auf die Angebote von Tageszeitungen und Online-Medien. Aufgrund des verhältnismäßig hohen Fixkostenanteils durch die Redaktions- und Herstellungskosten existieren im Bereich der Tageszeitungen sehr hohe Marktzutrittsbarrieren. Die Produktion einer Tageszeitung erfordert beispielsweise ein immenses Maß an Sachkapital und zudem wird ein großer logistischer Apparat zur Abwicklung der Distribution benötigt.

 

Angebotsdeterminanten von Online-Medien

 

Bei den Online-Medien ist zum einen eine Mehr-Wege-Kommunikation möglich, und zum anderen können Online-Medien im Unterschied zu Tageszeitungen „in Echtzeit“ Inhalte übermitteln. Dies gibt ihnen gegenüber Tageszeitungen einen wesentlich Zeitvorsprung, was gerade bei bestimmten Special-interest-Angeboten von großer Bedeutung sein kann (zum Beispiel Börsennachrichten). Im wesentlichen lassen sich Online-Inhalte in Text, Standbilder, Bewegtbild- und Audio-Formate einteilen.[38]

 

Auch wenn das Internet als Medium für Textinhalte auf das flüchtige Lesen ausgelegt ist, können Online-Angebote die Qualität der Inhalte aus Tageszeitungen erhöhen, indem Texte mit vorhergehenden und thematisch verwandten Beiträgen verknüpft werden. Nachrichtenticker, Diskussionsforen, Leserabstimmungen und Linkverzeichnisse können ebenfalls in diesen Kontext gestellt werden.[39]

 

Online-Medien sind auf jeden Fall an eine technische Infrastruktur gebunden, was ihnen hinsichtlich der Disponibilität gegenüber den Tageszeitungen einen Nachteil verschafft. Aus technologischer Perspektive dürfte sich die Gebundenheit jedoch mehr und mehr aufheben, wenn man davon ausgeht, dass die Möglichkeiten zur mobilen Online-Nutzung zunehmend verbessert werden. Aus dieser technologischen Perspektive ist das gesamte Online-Angebot im Internet eine Art „elektronische Weltbibliothek“, deren Inhalt über Telekommunikationsnetze jederzeit ortsunabhängig abgerufen werden kann. Theoretisch könnte dort das gesamte Wissen und die gesamte Kultur der Menschheit abgespeichert sein.

 

Die realen Angebote sind davon sicher weit entfernt. Inwieweit solche und andere Szenarien realisiert werden können, hängt nicht nur von der technischen Machbarkeit ab, sondern im besonderen Maße von den, aus Sicht der Anbieter, damit verbundenen Kosten und Verwertungspotenzialen,[40] und vor allem letztere lassen sich schwer einschätzen.

 

Bei der Frage des Markteintritts haben Online-Anbieter wesentlich bessere Chancen als potenzielle Anbieter auf dem Tageszeitungsmarkt. Online-Angebote können mit relativ geringen Mitteln produziert und auf den Markt gebracht werden. Theoretisch reicht dafür ein Programmierer mit der dazugehörigen Online-Infrastruktur. In der Realität gibt es auch derartige Angebote mit Amateur-Charakter zuhauf im Internet. Professionelle Online-Angebote im unternehmerischen Sinn benötigen aber selbstverständlich weitaus größere Ressourcen,  für die hohen Marketing-Aufwendungen, um ein Angebot in der unüberschaubaren Angebotsfülle des Internets überhaupt erst bekannt zu machen. Dennoch sind die Markteintrittsbarrieren im Online-Sektor nicht mit denen im Print-Bereich zu vergleichen.

 

2.2.1.3 Mögliche Beziehungen zwischen altem und neuen Medium
 

Die Beziehungen der beiden Medien Tageszeitung und Internet können wie bereits angedeutet einen substitutiven oder komplementären Charakter haben.

 

Substitutionen

 

Die Möglichkeiten zur Substitution hängen in erster Linie von den beschriebenen Angebotseigenschaften, den Konsumbedingungen und den unterschiedlichen Motivationen der Nachfrager ab. Da diese drei Determinanten bei den Online-Medien zur Zeit eine starke Variabilität aufweisen, können die jetzigen Analysen nur den Rang von Momentaufnahmen verbunden mit unterschiedlichen Szenarien erlangen.

 

Vorab sei auch erwähnt, dass in der Mediengeschichte noch nie ein Medium ein anderes völlig verdrängt hat. Die Historie hat eher gezeigt, dass sich durch das Auftreten neuer Medien die Nutzung der bestehenden Medien sowie ihre Funktionen und ökonomische Verwertung verändert hat. Bei der Etablierung der jeweils neuen Medien kam es im Zuge der ökonomischen Konfrontation zu Anpassungsstrategien der „alten“ Medien.[41] Und trotz verschiedener Grabreden auf die klassische Zeitung (Bill Gates auf dem World Economic Forum in Davos 1998: „Das Jahr 2000 wird das Ende der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger einläuten.“) deutet gerade im beim Aufkommen der Online-Medien vieles darauf hin, dass auch hier wieder Anpassungsstrategien der „alten“ Medien entwickelt werden, wobei dies in Teilen schon der Fall ist.[42]

 

Bei den Anbietern von Tageszeitungen und Online-Medien handelt es sich um Anbieter ungleichartiger Marktleistungen. Daher kann man die Konkurrenz zwischen ihnen als vertikal bezeichnen.[43] Horizontale Konkurrenz gilt demgegenüber für intramediären Wettbewerb. Substitution der Tageszeitung durch Online-Medien im Sinne einer kompletten Imitation wäre hier demzufolge nicht möglich. Gleiches gilt auch für den Werbemarkt. Aus technologischer Perspektive darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass es bei Online-Medien möglich ist, unter anderem Elemente von Printmedien, Hörfunk und Fernsehen zu integrieren, wodurch sie eine Konkurrenz für die klassischen Medien darstellen. Die Online-Medien trumpfen also nicht nur mit ihren neuen originären Eigenschaften auf, sondern vereinen fremde Medienformen über das Medium Internet, so dass sie den herkömmlichen Medienformen inhaltlich ähneln können. Im Netz werden alte Medien Teile des neuen. Dadurch wird die vertikale Konkurrenz zum Teil durch eine horizontale Komponente ergänzt, die eine Substitution bestimmter Funktionen der Tageszeitung durch Online-Medien ermöglicht. In Bezug auf die Medieninhalte kann eine Substitution erfolgen, wenn die unterschiedlichen Medien auf ähnliche Bedürfnisbefriedigung zielen. Der Wettbewerb ist demnach um so stärker ausgeprägt, je funktional äquivalenter die Leistungen der Anbieter sind.[44]

 

Aus Sicht der Konsumenten haben derartige Substitutionen in jedem Fall Auswirkungen auf die Verwendung ihrer Zeit- und Geldbudgets. Damit zielt der Wettbewerb um Konsumenten immer auch auf eben diese Budgets, um die im Übrigen nicht nur die Mediengattungen an sich, sondern auch die Medienanbieter im einzelnen konkurrieren. Aber auch wenn Tageszeitungen und Online-Medien keinen ähnlichen Nutzen stiften, führt theoretisch die Mehrnutzung des einen Angebots (Online) über den Einkommenseffekt zur Wenigernutzung anderer Güter, sofern ein fixes Budget vorgegeben ist, und die Preise gleich bleiben.[45] Und immerhin geben deutsche Online-Nutzer nach der ARD/ZDF-Online-Studie von 1998 monatlich rund 60 Mark allein an Telefongebühren für ihr Hobby aus.[46] Gleichzeitig kann die Mehrnutzung eines Mediums, indem sie die verfügbare Zeit verringert, zur Mindernutzung anderer Medien führen.[47] Zeitungsleser verwenden täglich eine dreiviertel Stunde zur Lektüre, Online-Nutzer verbringen täglich knapp 70 Minuten mit deutlich steigender Tendenz zu privaten Zwecken im Netz.[48]

 

Ungeachtet aller Möglichkeiten zur Substitution hat die Praxis bislang gezeigt, dass die Nutzung des Internet bisher nicht signifikant zu Lasten der Zeitungsauflagen stattfindet. Vielmehr sind die deutschen Online-Nutzer auch „heavy user“ der gedruckten Zeitung.[49] Allerdings ist auch zu konstatieren, dass 21 Prozent der Online-Nutzer wegen ihres Online-Konsums weniger Zeitschriften und Zeitungen lesen.[50] Vermutlich sind diese scheinbar gegensätzlichen Studienergebnisse damit zu erklären, dass Online-Nutzer zwar größtenteils weiterhin eine Zeitung abonnieren oder kaufen, jedoch weniger Zeit dem Print-Objekt widmen.

 

Eine weitere Lehre der Praxis ist, dass der Strukturwandel weniger vom technologisch möglichen abhängt, als von den Präferenzen und Gewohnheiten der Konsumenten. Ähnliches zeigen Erfahrungen technikzentrierter Projektionen, die Anfang der achtziger Jahre vor dem Hintergrund der damals neuen Kabel- und Satellitentechniken sowie vom Bildschirmtext entwickelt wurden.[51] Hieraus einen Fortbestand für die Zukunft abzuleiten, wäre jedoch für Verlage von Tageszeitungen angesichts der anhaltenden Marktbewegungen im Online-Bereich und des noch nicht ausgeschöpften technologischen Potenzials sowie der damit verbundenen Perspektiven grob fahrlässig.

 

Komplementaritäten

 

Anstatt über substitutive Beziehungen Verdrängungseffekte auszulösen, kann den Online-Medien auf bestimmten Gebieten auch ein komplementärer Charakter zukommen. So waren 1999 57 Prozent der Online-Nutzer der Meinung, die Online-Zeitungen böten ihnen im Gegensatz zur gedruckten Zeitung „immer“ oder „häufig“ zusätzliche Informationen. Dieselbe Studie kam zu dem Ergebnis, dass immerhin 19 Prozent die Online-Ausgabe einer Zeitung als hilfreich bei der Entscheidung über den Kauf einer Print-Zeitung empfinden.[52] Van Eimeren und Gerhard vertreten hierzu den Standpunkt, dass das Internet wie kein anderer Medientypus ideal dazu geeignet ist, sich in die bestehende Mediennutzungspalette der Konsumenten einzugliedern.[53]

 

Vieles spricht auch dafür, dass gerade die Intensivnutzer älterer Medien Innovatoren und frühe Adopter der Online-Medien waren, was die More-and-more-Regel bestätigt und ebenfalls auf Komplementäreffekte hindeutet.[54] Hinzu kommt die Tatsache, dass im Hinblick auf das Zeitbudget die Online-Nutzung hauptsächlich in den Abendstunden stattfindet[55], während Tageszeitungen vor allem  morgens gelesen werden.

 

Und nicht nur auf der Nachfrageseite können solche Komplementaritäten auftauchen, auch die Anbieter selbst werden in die Lage versetzt, Synergieeffekte zwischen ihren bisherigen Medien und dem Internet zu heben, beispielsweise durch eine Verbesserung interner Prozesse mittels eines Online-Systems, sowie darüber hinaus Marken- und Imagetransfers zu realisieren.[56]

 

2.2.2 Werbemarkt

 

Die starke Verknüpfung der werbetreibenden Wirtschaft mit den Medien ist von Seiten der Werbenachfrage durch die Notwendigkeit der medialen Verbreitung der Werbung zum Aufbau und Aufrechterhaltung einer Marktkommunikation zurückzuführen. Der Kontakt zwischen den Medien-Anbietern und den Nachfragern der Werbemöglichkeiten verläuft bei großen Werbekunden oftmals nicht direkt, sondern unter Zwischenschaltung von Werbe- und Mediaagenturen.[57]

 

2.2.2.1 Determinanten der Nachfrage
 

Beurteilungskriterien der Nachfrager

 

Um ihre Marktkommunikation zu optimieren, wählen werbetreibende Unternehmen, beziehungsweise die von ihnen beauftragten Agenturen für jede Werbestrategie einen bestimmten Media-Mix, der die Entscheidung über die einzusetzenden Medien umfasst. Der Media-Mix legt also neben diversen anderen Koordinationsfunktionen die Gewichtung der einzelnen Medien im Rahmen einer Kampagne  fest. Dies beinhaltet intermediäre wie intramediäre Vergleiche, wobei der Intermedia-Vergleich die Entscheidung über den Einsatz von unterschiedlichen Mediengattungen fundiert, und der Intramedia-Vergleich dazu genutzt wird, eine konkrete Anbieterauswahl innerhalb einer Mediengattung zu treffen.

 

Bei der Beurteilung der unterschiedlichen Mediengattungen und Medienanbieter beziehungsweise –marken bedienen sich die Nachfrager im allgemeinen der Kriterien Reichweite, Tausender-Kontakt-Preis (TKP) und Affinität, die im folgenden auf der Grundlage der Auffassungen Siegerts näher erläutert werden.[58] Hinzu kommen Kriterien wie Format, Farbigkeit, Erscheinungsweise u.ä., die jedoch nicht weiter erklärungsbedürftig sind.

 

Die Reichweite eines Mediums bezieht sich auf den Kontakt von Personen oder Haushalten mit dem Medium. Sie gibt an, wie viele Personen oder wie viel Prozent der Bevölkerung eine durchschnittliche Ausgabe des betreffenden Mediums mindestens einmal im Erscheinungsintervall konsumieren.

 

Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Werbeträgers im Intra- und Intermediavergleich wird traditionell der Tausender-Kontakt-Preis herangezogen, der sich aus der Summe aller Erst- und Wiederholungskontakte bei allen erreichten Personen ergibt.[59] So lässt sich das Preis-Leistungsverhältnis der einzelnen Werbeträger bestimmen. Daneben existieren noch weitere Tausender-Preise, die versuchen, das Preis-Leistungsverhältnis der Werbeträger unter verschiedenen Aspekten zu beurteilen.

 

Unter dem Kriterium Affinität versteht man den Anteil der Zielgruppe angehörenden Konsumenten an der Gesamtheit der Konsumenten eines Mediums. Je stärker also die Nachfrager eines Mediums mit der Zielgruppe übereinstimmen, umso höher ist die Affinität, und umso besser wird dieses Medium von dem betreffenden Werbeunternehmen beurteilt.

 

Im Online-Bereich haben sich zudem noch einige andere differenzierte Kriterien herausgebildet, um die Wirtschaftlichkeit von Werbung zu erfassen und einen Intramedia-Vergleich durchzuführen. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass der kommunikative Ansatz der werbetreibenden Unternehmen in Bezug auf den Nutzer oft ein anderer ist als bei Tageszeitungen und anderen klassischen Medien. Hauptsächlich hat dies mit den interaktiven Möglichkeiten der Online-Medien zu tun, die im nächsten Abschnitt  näher erläutert werden.

 

Die bisher genannten Kriterien der Nachfrager nach Werbemöglichkeiten haben in erster Linie einen quantitativen Charakter, jedoch bemisst sich die Qualität eines Werbeträgers für die Unternehmen auch nach kontaktqualifizierenden Merkmalen, da sie die Wahrnehmung der Inhalte, und damit auch der Werbebotschaften, beeinflussen können.[60] Kontaktqualifizierende Merkmale sind zum Beispiel Leser-Blatt-Bindung, Glaubwürdigkeit und Interesse.

 

Budget der Nachfrager

 

Eine weitere wichtige Determinante der Nachfrage nach Werbemöglichkeiten in den Medien ist das Budget der werbetreibenden Wirtschaft. Wie auf dem Konsumentenmarkt müssen die Medien allgemein und im besonderen die einzelnen Medien-Anbieter um dieses Budget und um die einzelnen Budgets der Unternehmen kämpfen. Die Budgets der Unternehmen und deren Aufteilung zwischen den Mediengattungen und den einzelnen Medien-Anbietern werden auf Grundlage der spezifischen Wettbewerbssituationen und strategischen Zielsetzungen festgelegt.[61] Dabei sind die Tageszeitungen mit Werbeerlösen von über zwölf Mrd. Mark im Jahr 2000 die werbeintensivste Mediengattung. Die Online-Werbeerlöse sind damit natürlich nicht zu vergleichen. 2000 erwirtschafteten Online-Anbieter 300 Mio. Mark durch Erlöse aus Werbung. Interessant ist hier allerdings die Wachstumsdynamik, da nach ZAW-Angaben[62] 1998 nur 50 Mio. Mark und im Jahr 1999 schon 150 Mio. Mark mit Online-Werbeangeboten erwirtschaftet wurden. Im Jahr 2000 ergab sich also nach einer Verdreifachung im Vorjahr eine Verdoppelung.[63]

 

2.2.2.2 Determinanten des Angebots
 

Nicht nur die werbetreibende Wirtschaft ist auf die Medien als Träger ihrer Botschaften angewiesen, auch die Medien selbst stehen zu großen Teilen  in existenzieller Abhängigkeit zu den Unternehmen, da die Bereitstellung von Werbemöglichkeiten für die Medien eine wesentliche Einnahmequelle darstellt. Beispielsweise gilt die Faustregel, dass Tageszeitungen normalerweise ca. zwei Drittel ihrer Einnahmen durch Werbung generieren. Damit wird auch der Wettbewerb der Medien um Werbeaufträge zu einem entscheidenden Bestimmungsfaktor ihrer Entwicklung.[64]

 

Dies wird vor allem deutlich, wenn man die historische Entwicklung der Tageszeitungen betrachtet. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Werbung für die aufkommende Konsumgüterindustrie einen immer höheren Stellenwert bekam, wuchs der Anzeigenteil der Tageszeitungen beträchtlich. Dadurch konnte sich schließlich der Typus des Massenblattes etablieren, der das Bedürfnis der damaligen Werbewirtschaft, eine möglichst große Konsumentenschicht anzusprechen, am ehesten befriedigen konnte.[65]

 

Angebotsdeterminanten der Tageszeitungen

 

Das Angebot der Zeitungen, die in Deutschland Werbeträger Nr. 1 sind, besteht im wesentlichen in der Bereitstellung von Anzeigenraum, der mit Werbung gefüllt werden kann. Anzeigen können als fremd bestimmte Inhalte grundsätzlich unterschieden werden in Anzeigen im Textteil und Anzeigen im Anzeigenteil einer Zeitung. Davon abhängig sind Anzeigenpreis, Größe, Platzierung, Termine und so weiter. Für die Berechnung der Kosten einer Anzeige dienen die Größe der Anzeige, die in Millimeter ausgedrückt wird, und der Millimeterpreis. Die Formen der Anzeigen sind sehr flexibel.[66] Was die Unterbringung von Anzeigen in Zeitungen betrifft, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Es muss nur ersichtlich sein, was redaktioneller Teil der Zeitung ist, und was Anzeigen sind. Diese beiden Bestandteile dürfen nach den Landespressegesetzen nicht miteinander vermischt werden.[67] Auch unterliegen Inhalt und Gestaltung von Anzeigen presserechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen. Neben den Anzeigen bieten Zeitungen auch die Möglichkeit, Fremd-Beilagen als Prospekte, die vom Werbetreibenden gedruckt angeliefert werden, in die Zeitung einzustecken.[68]

 

Die Qualität der Tageszeitung als Werbeträger ist allgemein als hoch einzustufen. Die Tageszeitung verfügt über eine große Reichweite, hohe Akzeptanz und Glaubwürdigkeit sowie über eine hohe Leser-Blatt-Bindung.[69] Den potenziellen Werbekunden stehen zudem eine Vielzahl an detaillierten Angaben über Auflage, Leserstruktur und diverse weitere Leistungsmerkmale des Mediums zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die Tageszeitung sehr kurzfristig genutzt werden kann, was nicht zuletzt auf Häufigkeit der Produktion sowie den niedrigen Produktionsaufwand für Anzeigenschaltungen zurückzuführen ist.

 

Die Steuerbarkeit der Werbung ist bei Tageszeitungen nach sozio-demographischen Merkmalen aufgrund des Massenblatt-Charakters nur sehr begrenzt möglich. Jedoch sind die Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich Raum und Zeit äußerst gut. So kann der Werbemitteleinsatz auf den Tag genau und durch eine Selektion von Räumen bis in kleinste Einheiten differenziert erfolgen.[70] Hierin liegt auch die Kernkompetenz regionaler und lokaler Tageszeitungen, nämlich die Bedienung der Werbetreibenden „vor Ort“. Allerdings kann es auch hier zu Problemen kommen, wenn die Belegungseinheiten der Zeitungen nicht mit den Vertriebsgebieten der Werbekunden übereinstimmen. Für überregional orientierte Unternehmen ist die Tageszeitung hauptsächlich durch die gleichmäßige Kontaktverteilung interessant. Im Rahmen von Media-Mix-Strategien kann der Einsatz von Tageszeitungen als Werbeträger Schwächen anderer Medien bei der Optimierung der Kontaktklassenverteilung wirkungsvoll ausgleichen.[71] Doch durch das zunehmende Bedürfnis einiger Werbekunden, praktisch sämtliche Haushalte erreichen zu wollen, sind Tageszeitungen für sie nicht mehr ausreichend.[72] Eine Alternative dazu bieten Postsendungen.

 

Als weiter Pluspunkte der Tageszeitung in ihrer Eigenschaft als Werbeträger sind die starke Leser-Blatt-Bindung und die Glaubwürdigkeit zu nennen.

 

Angebotsdeterminanten der Online-Medien

 

Das Werbeangebot im Online-Bereich ist insgesamt als sehr dynamisch zu betrachten. Nahezu täglich entstehen neue Angebote, während alte wegfallen. Standardwerbemittel bei Online-Medien sind Banner oder Buttons, die ähnlich wie Anzeigen bei Tageszeitungen an beliebigen Plätzen einer Website untergebracht werden können. Grundlage für die Kostenberechnung der Online-Werbung ist der Preis pro 1.000 Pageimpressions, dem TKP der Zeitungen vergleichbar. Jedoch ist auch die Preisgestaltung wie das Angebot selbst sehr variabel und im Verhältnis zu anderen Medien wenig standardisiert.

 

Normalerweise sind Banner heute interaktiv, d.h. der Nutzer kann durch Anklicken direkt auf die Seite des Werbetreibenden gelangen. Hier kann das Unternehmen seinerseits dann direktes Marketing betreiben, zum Beispiel mit der Bereitstellung von differenzierten Produktinformationen oder einem Online-Shop. Häufig sind die Werbebanner animiert, so dass eine Werbebotschaft wie bei einem „Daumenkino“ in aufeinanderfolgenden Bildern kommuniziert werden kann. Da jedoch viele deutsche Websites geradezu vollgestopft sind mit Werbebannern, verpufft die gewünschte Wirkung zunehmend.[73]

 

Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund werden permanent neue Werbemöglichkeiten für Online-Medien entwickelt. Beispielsweise wird das sogenannte HTML-Banner angeboten, welches dem Nutzer mit Hilfe eines aufspringenden Fensters ein Auswahlmenü anbietet und je nach Entscheidung wiederum gezielt verlinkt. Ein reizvolles Angebot ist auch das Keyword-Advertising. Es können dabei bestimmte Begriffe belegt werden, bei deren Abfrage durch den Nutzer themenspezifische Banner eingeblendet werden. Hinzu kommen Sonderwerbeformen, wie Sponsoring, wo Werbefläche, die eng mit dem Inhalt des Online-Angebots zusammenhängt, dauerhaft belegt wird, oder Computerspiele mit integrierter Werbung.

 

Bekanntester Vertreter dieser Sonderwerbeformen ist wohl das „Moorhuhn-Spiel“. Der Whisky-Marke „Johnny Walker“ ist mit einem Computerspiel, das nach jeder Spielrunde Werbung für die Marke zeigt, ein bemerkenswerter Coup gelungen. Das Spiel wurde gratis zum Herunterladen in verschiedenen Online-Angeboten platziert und konnte sich nach einiger Zeit überwältigend großer Beliebtheit erfreuen. Dies löste wiederum eine Reaktionskette bei den klassischen Medien aus. Diverse Fernsehsendungen, Zeitungen etc. berichteten über das Spiel. Dieses Beispiel zeigt in beeindruckender Weise, wie stark teilweise herkömmliche Konventionen der Werbewirtschaft durch die Online-Medien umgangen und in Frage gestellt werden können. Mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand ist es einem Unternehmen gelungen, seine Marke über das Internet an eine derart breite Masse zu kommunizieren.

 

Weitere Formen der Sonderwerbeformen sind Microsites, bei denen das Angebot eines Unternehmen sofort nach dem Anklicken ohne weitere Verknüpfung in einem kleinen Fenster angezeigt wird, Newsletter-Abonnements als Mittel direkter Kundenkommunikation sowie Gewinnspiele und Verlosungen.[74] Außerdem kann Online-Werbung auch an die Konsumenten gesendet werden indem, der Werbetreibende sie dafür bezahlt. Der Nutzer lässt sich also bewusst Werbung auf seinem Bildschirm präsentieren und kassiert im Gegenzug für diese „Belästigung“ Geld. Die derzeitige Entwicklung zeigt in jedem Fall, dass die Zeit der Innovationen in der Online-Werbung noch lange nicht vorüber ist.

 

Das große Manko, das Online-Medien hinsichtlich Werbung aufweisen, ist die mangelnde Transparenz für die Werbetreibenden. Es existieren zwar vereinzelt Studien über die Attraktivität von Online-Medien bis hin zur Nutzung einzelner Belegungseinheiten, jedoch können über die Zahl der Nutzer und die Struktur der Nutzergruppen kaum konkrete Aussagen getroffen werden. Zudem weisen einige Studien widersprüchliche Ergebnisse auf.[75]

 

Demgegenüber steht die herausragende Stärke der Online-Medien mit ihren vielfältigen interaktiven Möglichkeiten. Die direkte Kommunikation zum Kunden, die für viele Unternehmen heute immer wichtiger wird, kann mit Hilfe von Online-Medien auf unterschiedlichste Art und Weise realisiert werden. Sieht man dazu die technologischen Perspektiven, so liegt hier wohl noch ein großes Potenzial für innovative Marketingstrategien. Online-Medien können , sofern schnellere Datenübertragungsraten für eine breite Nutzerschicht möglich sind (Stichwort UMTS), den werbenden Unternehmen die Möglichkeit bieten, TV- oder Audio-Spots im Internet-Format zu zeigen. Zudem ist es durch das große und vielfältige Angebot im Online-Sektor möglich, Werbung sehr gezielt zu platzieren. Selbst kleinste Konsumentengruppen mit Spezial-Interessen können über entsprechende Websites ohne große Streuverluste erreicht werden.

 

2.2.2.3 Mögliche Beziehungen zwischen altem und neuen Medium
 

Nach überwiegender Auffassung in der Literatur kommt es durch das Hinzutreten eines neuen Mediums beziehungsweise neuer Medien-Angebote auf den Markt zu Verschiebungen der Werbebudgetanteile. Durch das erhöhte Medien-Angebot dürfte es aber parallel zu der Verschiebung der Budgetanteile (und dies ist ebenfalls einhellige Meinung in der Literatur) zu einer Ausweitung der Werbeumsätze insgesamt kommen. Entscheidend für das Verhältnis der Tageszeitungen zu den Online-Medien ist nun, inwieweit die Online-Medien den Tageszeitungen Budgetanteile abnehmen können (Substitution), und wo beide Medien sich als Werbeträger ergänzen oder sogar voneinander profitieren können (Komplementaritäten).

 

Substitution

 

Was die theoretisch mögliche Substitution auf dem Werbemarkt betrifft, schätzt Holicki insgesamt mindestens drei Viertel des Anzeigenvolumens der Zeitung als potenziell „online-tauglich“ ein.[76] Der größte Posten der Tageszeitungen, der von den Online-Medien bedroht ist, sind wohl die Rubriken-Märkte. Dies sind Märkte für kleine Fließsatzanzeigen, vor allem der Sparten Automobile, Immobilien, Stellen und Bekanntschaften, die unter Umständen nahezu vollständig von Online-Medien substituiert werden können.[77] Das Potenzial der Online-Medien ist in diesem Bereich besonders groß, da sie gerade hier ihre originären Stärken ausspielen können. Im Gegensatz zur Tageszeitung, wo der Leser alle Anzeigen durchsuchen muss, bis er das für sich zutreffende Angebot findet, kann der Online-Nutzer selektiv vorgehen und seine Präferenzen in eine Suchmaske eines Anbieters eingeben, woraufhin ihm schließlich nur die Angebote angezeigt werden, die für ihn interessant sind. Mehr noch: Je nach Ausgestaltung des Online-Angebots kann ihm auch noch die Möglichkeit geboten werden, Fotos, Audio- oder Filmsequenzen zu seinen Suchtreffern abzurufen. Ohne das Medium zu wechseln, kann er dann zum Beispiel per E-Mail in direkten Kontakt zum Anbieter treten.

 

Für Tageszeitungsverlage ist dies eine völlig neue Situation, da sie über Jahrzehnte daran gewöhnt waren, auf diesen Märkten eine sehr starke und oftmals monopolartige Marktstellung inne zu haben. Offertenblättern, die eine Konkurrenz für Tageszeitungen auf dem Werbemarkt sind, wurden vielfach von den Tageszeitungsverlagen aufgekauft oder selbst gegründet. Somit konnten sich Tageszeitungsverlage in vielen Gebieten Monopolrenten auf dem Werbemarkt sichern.[78]

 

Ein weiterer Substitutionseffekt kann sich dadurch ergeben, dass Werbekunden es nicht dabei belassen, Anteile ihres Werbeetats von Tageszeitungen auf Online-Anbieter zu verlagern, sondern  darüber hinaus selbst aktiv werden und Geld in den Aufbau eines eigenen  Internet-Auftritts fließen lassen. Vor dem Hintergrund, dass die unmittelbare Kommunikation zum Konsumenten für viele Unternehmen heute immer wichtiger wird, erscheint dies um so wahrscheinlicher.

 

Komplementaritäten

 

Betrachtet man die Angebotsseite des Werbemarktes beider Medien, so fällt auf, dass sich die Stärken und Schwächen von Tageszeitungen und Online-Medien weitgehend diametral entgegenstehen. Stärken der Tageszeitungen, wie die Glaubwürdigkeit und die konstante Abdeckung eines Massenpublikums, verkehren sich bei Online-Medien zum großen Teil ins Gegenteil. Eine Glaubwürdigkeit auf breiter Massenbasis konnten Online-Medien bis jetzt noch nicht erreichen[79], und das potenzielle Publikum bildet mit ca. einem Drittel der Bevölkerung nicht die sozio-demographische Struktur der Gesamtbevölkerung ab. Zudem ist die Transparenz der Medialeistung dort äußerst gering.

 

Auf der anderen Seite können aber Anbieter von Online-Medien dafür Leistungen bieten, die bei Tageszeitungen nicht möglich sind, wie die gezielte Ansprache von Konsumentengruppen und die diversen Möglichkeiten zur Interaktivität. Dieser Zusammenhang ist ein Indiz dafür, dass Tageszeitungen und Online-Medien auf bestimmten Feldern des Werbemarktes keinen Leistungswettbewerb „mit gleichen Waffen“ führen, sondern dass ihre Beziehung dort einen eher komplementären Charakter hat. Aus Sicht der Werbekunden ergänzen sie sich vielfach.

 

Welches Medium für den Werbetreibenden gerade optimal ist, hängt stark von seinen strategischen Zielen ab. Die Verknüpfung dieser Ziele mit den beiden Medien ist in Abbildung 2 verdeutlicht.

 

 

Abb. 2: Zielfelder der Werbekommunikation[80]

 

Beispielsweise sind Online-Medien für Unternehmen interessant, die sehr spezielle Konsumentengruppen haben. Dies kann dazu führen, dass Online-Medien mit einer relativ geringen Reichweite von bestimmten Unternehmen besser beurteilt werden als Tageszeitungen mit großer Reichweite, da der TKP in Bezug auf die spezielle Zielgruppe bei Tageszeitungen viel zu hoch wäre. Umgekehrt sieht es dagegen natürlich bei Unternehmen mit einer breiten undifferenzierten Käuferschicht aus. Insofern sprechen Online-Medien teilweise Werbekunden an, für die die Tageszeitung aufgrund ihrer spezifischen Leistungen als Werbeträger gar nicht erst in Betracht kommt. Ebenso gibt es Unternehmen, die in der Tageszeitung werben, für deren Unternehmenskommunikation Online-Medien ungeeignet sind.

 

Eine interessante komplementäre Beziehung beruht auch auf dem allgemeinen Boom der Online-Wirtschaft der vergangenen Jahre. Die Börsengänge in der New Economy und die Kampagnen der Internet-Firmen brauchten die Tageszeitungen als starken Werbeträger und hatten somit maßgeblichen Anteil am florierenden Anzeigengeschäft der Tageszeitungen.[81] Beispiele wie Amazon und Faircar zeigen, dass es eines immensen Werbeaufwandes bedarf, um im Dickicht des Internet-Dschungels einen Markennamen überhaupt erst bekannt zu machen.

 

Auch auf technologischer Ebene gibt es Möglichkeiten, dass sich Tageszeitungen und Online-Medien ergänzen. So kann es zum Beispiel Tageszeitungen möglich sein, über eine virtuelle Geschäftsstelle digitalisierte Druckvorlagen online entgegenzunehmen und auch abzurechnen. Zudem könnten dort für die Nachfrager von Werbemöglichkeiten Service-Angebote geschaffen werden, die ihnen beispielsweise automatisch verschiedene Preismodelle errechnen. Diese und weitere Möglichkeiten neuer strategischer Ansätze werden jedoch in Abschnitt 3.3 tiefgreifender behandelt.

 

2.2.3 Interdependenzen zwischen Konsumentenmarkt und Werbemarkt

 

Zusammenhänge auf dem Pressemarkt – die Anzeigen-Auflagen-Spirale

 

Die Anzeigen-Auflagen-Spirale ist eine Besonderheit des Marktes für Presseerzeugnisse. Zwischen den beiden Kundenmärkten von Presseunternehmen, dem Konsumentenmarkt und dem Werbemarkt, existieren gegenseitige Abhängigkeiten in der Form, dass die Preise und Mengen des Konsumentenmarktes die Preise und Mengen des Werbemarktes und umgekehrt beeinflussen, d.h. es kann keine unternehmerische Entscheidung getroffen werden, die nicht Rückwirkungen auf beiden Märkten nach sich zieht.

 

Der Mechanismus der Anzeigen-Auflagen-Spirale funktioniert folgendermaßen:

 

Wächst die Auflage einer Zeitung, so nimmt die Nachfrage der Werbewirtschaft nach Werbeflächen zu, da sich für ihre Werbebotschaften ein größeres Publikum bietet. Gleichzeitig sinken für den Verlag aufgrund des relativ hohen Fixkostenanteils bei Presseerzeugnissen die Stückkosten. Der Verlag kann nunmehr entweder mehr Werbeflächen verkaufen oder bei gleichbleibender Werbefläche die Preise für die Werbung heraufsetzen. Beides steigert seine Einnahmen. Mit dieser Einnahmesteigerung auf dem Werbemarkt und seinen geringeren Stückkosten ist es dem Verlag möglich, den Preis für das Zeitungs-Abonnement am Konsumentenmarkt zu senken oder die Qualität der Zeitung zu verbessern, was in beiden Fällen wiederum die Auflage der Zeitung nach oben treiben dürfte.

 

In umgekehrter Richtung wirkt die Anzeigen-Auflagen-Spirale, wenn die Auflage einer Zeitung nach unten geht. Die werbetreibenden Unternehmen sind nicht mehr bereit, den gleichen Preis für ihre Werbeflächen zu bezahlen und fahren damit ihre Nachfrage zurück. Der Verlag kann nun entweder den mengenmäßigen Nachfragerückgang der Werbewirtschaft bei gleichen Preisen hinnehmen, oder er kann seine Preise für Werbeflächen senken. In jedem Fall sinken seine Werbeeinnahmen. Das Sinken der Werbeeinnahmen und die geringere Auflage bringen dem Verlag Einnahmeverluste, die er versuchen muss auszugleichen. Verlage, die also bei sinkender Auflage und damit einher gehenden schrumpfenden Anzeigenerlösen einen Ausweg suchen, stehen vor einem überaus schwierigen wirtschaftlichen Problem. Verschlechtert nämlich der Verlag die Qualität seiner Zeitung durch Kosteneinsparungen, muss er mit einem weiteren Abfall der Auflage rechnen, was die Wirkung der Spirale verstärken würde. Versucht er dagegen die Einnahmeverluste mit höheren Abonnement-Preisen auszugleichen, wird seine Auflage mit rückgängiger Konsumentennachfrage voraussichtlich ebenfalls sinken, und die Spiralwirkung lässt nicht nach.

 

Das Zusammenspiel des Konsumenten- und des Werbemarktes birgt also in jedem Fall ein instabiles Gleichgewicht und eine erhebliche Einschränkung des preispolitischen Instrumentariums des Verlags. Ergeben sich zu große Abweichungen von Preisen und Mengen auf einem der beiden Märkte, so kann dies sehr gewinnbringende, aber auch existenzbedrohende Folgen für ein Presseobjekt haben. Was jedoch das Wirken der Anzeigen-Auflagen-Spirale nach oben, also in gewinnbringender Richtung angeht, so muss man doch zumindest im Fall von lokalen und regionalen Tageszeitungen anmerken, dass ihr Wachstum eindeutige Grenzen hat. Auf dem Konsumentenmarkt ist die Zahl der potenziellen Käufer durch die Größe der Bevölkerung im Verbreitungsgebiet der Zeitung begrenzt, und auf dem Werbemarkt werden durch einen mehr oder weniger konstanten Werbeetat der Werbewirtschaft dem Wachstum ebenso Grenzen gesetzt.

 

Die dargestellten ökonomischen Zusammenhänge haben entscheidenden Anteil an der Entwicklung, dass ein immer größerer Teil der Gesamtauflage aller Presseerzeugnisse auf eine kleine Anzahl von Verlagen entfällt, und sich in lokalen Bereichen eine Vielzahl von Monopolen herausgebildet hat.

 

Beziehungen zwischen Werbe- und Konsumentenmarkt im Online-Sektor

 

Übertragen auf den Online-Markt ergibt sich bezüglich der Anzeigen-Auflagen-Spirale zunächst aus theoretischer Sicht eine ähnliche Marktlage. Geht man davon aus, dass sich Online-Publikationen über Werbung finanzieren, können mit steigenden Pageimpressions höhere Werbeerlöse realisiert werden, wodurch die Qualität des Angebots verbessert werden kann. Die Anzahl der Pageimpressions dürfte damit weiter steigen. Gestaltet man dieses Angebot so, dass der Nutzer für die Inhalte bezahlen muss, würde auch hier theoretisch die Anzeigen-Auflage-Spirale ihre Wirkung zeigen.

 

In der Praxis findet dieser Mechanismus bisher allerdings wenig Bedeutung. Erstens hat sich herausgestellt, dass eine Bereitstellung qualitativer Inhalte nur über herkömmliche Werbebanner nicht oder nur in wenigen Fällen gewinnträchtig möglich ist. Und zweitens ist es bisher nur äußerst wenigen Anbietern im Internet gelungen, Kunden zu finden, die bereit sind, für Online-Inhalte zu bezahlen. Diese Problematik wird aber in Abschnitt 3 näher beleuchtet. Damit bleibt die Anzeigen-Auflagen-Spirale zunächst in erster Linie ein Pressephänomen.

 

Besonderheiten des Online-Sektors bezüglich der Verknüpfung von Werbe- und Konsumentenmarkt sind vor allem die interaktiven Möglichkeiten. Der Nutzer kann sich  von der Werbung eines Unternehmens im Online-Angebot einer Tageszeitung direkt in dessen Online-Shop klicken, um dort per E-commerce Einkäufe zu tätigen.

 

Außerdem kann für jeden Nutzer ein Online-Profil erstellt werden, das die Nutzungsgewohnheiten des Nutzers dokumentiert. Damit eröffnet sich die Möglichkeit für Online-Anbieter flexibel je nach dem Profil des Nutzers Werbung in sein Angebot einzubinden. Streuverluste wie bei der Tageszeitung, die für ein breites Interessenspektrum konzipiert ist, können somit deutlich verringert werden.

 

 

2.3 Marktsituation in Niedersachsen

 

2.3.1 Verlagsstruktur und Zeitungsangebot

 

2.3.1.1 Niedersächsische „Zeitungslandschaft“
 

Der niedersächsische Zeitungsmarkt ist mit seinen insgesamt 132 Zeitungen der 55 Verlage lokal stark ausdifferenziert und durch eine Vielzahl regionaler und lokaler Zeitungstitel gekennzeichnet. Zudem haben sich nach der Aufhebung des Lizenzzwanges 1949 viele Heimatzeitungen aus Verlagen mit teilweise jahrhundertelanger Tradition wieder etabliert und sind heute ein prägendes Element in der Zeitungslandschaft.[82] Unter den Zeitungen sind knapp 60 Tageszeitungstitel, wovon einige auch in Bremen und Hamburg erscheinen.

 

Allerdings liegt die Zahl der unternehmerischen Einheiten mit 33 weit unter der Anzahl der Verlage, was darin begründet liegt, dass ein großer Teil der Verlage zu Verlagsgruppen unter einem einheitlichem „Dach“ zusammengefasst sind. Viele Kleinverlage sind zwar noch rechtlich eigenständig, wirtschaftlich gesehen jedoch nicht.[83]

 

So ergibt sich insgesamt im Vergleich zum Bundesdurchschnitt in Niedersachsen ein eher kleinständisches Bild der Branche. Über 80 Prozent der Titel haben eine Auflage von weniger als 25.000 Exemplaren, und über 20 Prozent der Gesamtauflage sind diesen Zeitungen zuzurechnen. Im Bund sind dies nur 15, 7 Prozent mit weniger als 25.000 Exemplaren Auflage und etwa zehn Prozent der Auflage, die von den kleinen Zeitungen stammen.[84] Demgegenüber teilen die zwölf größten Tageszeitungen des Landes 70 Prozent der Gesamtauflage unter sich auf (siehe Abbildung 4).[85] Die verkaufte Gesamtauflage der in Niedersachsen erscheinenden Tageszeitungen belief sich im zweiten Quartal 2000 auf 1.685.309 Exemplare.[86] Seit Anfang der 90er Jahre ist die Auflage der Tageszeitungen leicht rückläufig.[87]

 

 

Abb. 3: Tageszeitungstitel, -auflagen und –gruppen[88]

 

 

Abb. 4: Auflagenstärkste regionale und lokale Tageszeitungen in Niedersachsen[89]

 

Die kleinräumige Struktur der niedersächsischen „Zeitungslandschaft“ ist auch zurückzuführen auf den weitgehenden Wettbewerbsverzicht zwischen den Kleinverlagen, der bislang ein Garant für einen relativ stabilen Markt war. Verbreitungsgebiete wurden meist klar gegeneinander abgegrenzt.[90]

 

Zudem ist der niedersächsische Zeitungsmarkt geographisch nach außen ziemlich abgeschottet. Einerseits engagieren sich niedersächsische Verlage nur sehr vereinzelt außerhalb des Bundeslandes, zum Beispiel die Verlagsgruppe Madsack mit einer Beteiligung an der „Leipziger Volkszeitung“, auf der anderen Seite spielen Verlage von außerhalb, abgesehen von der „Bild“-Zeitung, einigen Ablegern aus Bremen und Hamburg sowie des nordrhein-westfälischen Verlegers Dirk Ippen, ebenso eine geringe Rolle.

 

Trotz der beschriebenen stabilen Marktlage und einiger Konzentrationsvorgänge, die im nächsten Abschnitt 2.3.1.3 näher beleuchtet werden, sowie hoher Markteintrittsbarrieren wäre es zu voreilig, den Tageszeitungsmarkt in Niedersachen als „ausgereizt“ zu beurteilen. Zunächst ist zu beachten, dass es bei der Haushaltsabdeckung in den Landkreisen und kreisfreien Städten Niedersachsens noch beachtliche Unterschiede und damit Expansionsmöglichkeiten gibt. Auch besteht bei den Preisen auf dem Konsumentenmarkt für monatliche Abonnements und auf dem Werbemarkt für den TKP noch eine bemerkenswerte Spannweite. Hinzu kommt eine Belebung des Wettbewerbs durch neue Anzeigen- und Offertenblätter sowie durch die Etablierung von Online-Medien.[91]

 

2.3.1.2 Entwicklung und Stand der Pressekonzentration in Niedersachsen
 

Das Phänomen der Pressekonzentration hat seine Hauptursache in der in Abschnitt 2.2.3 erläuterten Anzeigen-Auflagen-Spirale. Dieser Mechanismus hat in Verbindung mit Größenvorteilen (vor allem die Möglichkeiten zur Fixkostendegression) in vielen Presseregionen Niedersachsens dazu geführt, dass sich jeweils eine „starke“ Tageszeitung, die sich die Effizienzvorteile der Konzentration zunutze machen konnte, durchgesetzt hat, und es somit in Niedersachsen eine Vielzahl von sogenannten „Ein-Zeitungs-Kreisen“ gibt (zu erkennen an den roten Flächen in Abbildung 5). Die Monopolisierung ist so weit vorangeschritten, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine Wahl mehr hat zwischen unterschiedlichen Tageszeitungen mit regionalen und lokalen Informationen.[92]

 

 

Abb. 5: Tageszeitungsdichte in Niedersachsen[93]

 

Nicht nur den Lesern fehlt die Auswahl am Tageszeitungsmarkt, auch die Anzeigenkunden erleiden große Nachteile, da sie als größtenteils lokal orientierte Unternehmen meist keine Ausweichmöglichkeit haben, als die hohen Monopolpreise zu zahlen, wenn sie eine flächendeckende Werbekampagne durchführen wollen.

 

Zwar spricht die kleinstrukturierte Branche für eine publizistische Vielfalt Niedersachsens, jedoch kann man von echtem Wettbewerb in den meisten Regionen nicht sprechen, da auch in Gebieten mit mehreren Tageszeitungen die einzelnen Blätter oft zu einem Verlag gehören. Wegen des fehlenden Wettbewerbs gehen Pätzold und Röper so weit und sprechen im Falle Niedersachsens von einem „Paradies für Verleger“.[94]

 

Dabei kommt es mitunter sogar auch zu Fällen, in denen das Bundeskartellamt von Verlegerseite regelrecht ausgetrickst wird. Ein interessantes Beispiel dafür ereignete sich 1997 im Südharz. Bis dahin hatten nämlich die beiden Titel „Bad Lauterberger Tageblatt“ und „Osteroder Kreis-Anzeiger“ gegen den dominanten „Harz-Kurier“ konkurriert. Plötzlich stellten beide Blätter ihr Erscheinen von einem Tag auf den anderen ein, ohne dass sie verkauft wurden. Der „Harz-Kurier“ brauchte anschließend die ehemaligen Leser und Anzeigenkunden der beiden Tageszeitungen, quasi als „Gratis-Kundenstamm“ nur noch einzusammeln. Zufälligerweise hatte „Harz-Kurier“-Verleger Siegfried Jungfer kurz zuvor eine neue Rotation in Betrieb genommen, die für den damaligen „Harz-Kurier“ wohl etwas zu groß ausgelegt war. Die technischen Voraussetzungen für die plötzliche Expansion waren also schon gegeben. Der naheliegenden Vermutung, Jungfer habe den beiden „müden“ Verlegern den Marktausstieg mit verdeckten Zuwendungen schmackhaft gemacht, hat der Verleger freilich widersprochen. Die Geschichte von den „müden“ Verlegern ist umso verwunderlicher, da es mindestens einen Kaufinteressenten, den Verleger der „Einbecker Morgenpost“ Jürgen Rüttgerodt, gab. Rüttgerodt sagte über die Übernahmegespräche: „Ich kam mir vor, als lebte ich auf einem anderen Stern.“ Mitarbeiter der Landeskartellbehörde haben daraufhin die Büros der beiden Verlage gefilzt, sind aber auf keine stichhaltigen Indizien für eine Bestechung gestoßen.

 

Bei den auflagenstarken Tageszeitungen in Niedersachsen ist, wie Abbildung 4 zeigt, zwar die „Neue Osnabrücker Zeitung“ an erster Stelle, die größte Marktmacht besitzt allerdings die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, da sie das Feld der publizistischen Einheiten (eigenständige Vollredaktionen) anführt. Geht man nämlich von der Betrachtungsweise der publizistischen Einheiten aus, so kommt die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ auf rund 434.000 Exemplare (Mantelauflage), die sich auf insgesamt 29 Ausgaben (Bezirksausgaben und angeschlossene Zeitungen, die den HAZ-Mantel übernehmen) verteilen. In der Rangfolge der publizistischen Einheiten liegt die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vor der „Braunschweiger Zeitung“, der „Nordwest-Zeitung“ und der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Von diesen vier Tageszeitungen stammen fast zwei Drittel der Gesamtauflage aller publizistischen Einheiten.[95]

 

Vor dem Hintergrund dieser Konstellation ist kritisch anzumerken, dassdie Zusammenschlüsse von zuvor unabhängigen Tageszeitungen zu großen publizistischen Einheiten trotz gegenteiliger Beteuerungen von der Verlegerseite tendenziell die Autonomie der Journalisten und die Prägnanz der politischen Positionen negativ beeinflussen.[96] Dennoch sollte auch erwähnt werden, dass die auflagenstarken Blätter in der Vergangenheit in der Regel nicht versucht haben, ihre Marktmacht offensiv in politischen Einfluss zugunsten einer politischen Partei umzumünzen, sieht man von der „Bild“-Zeitung ab. Auf der Ebene der kleineren Zeitung ergibt sich diesbezüglich ein etwas diffizileres Bild, was wohl hauptsächlich auf die immer noch historisch manifestierten familiären Besitzverhältnisse zurückzuführen ist.

 

2.3.2 Niedersächsische Tageszeitungen im Online-Markt – eine Bilanz nach sechs Jahren

 

2.3.2.1 Ängste und Abwehrstrategien
 

Bevor es in dieser Arbeit um die Zukunft der Tageszeitungen und deren Strategien im Zusammenhang mit den Online-Medien geht, erscheint es für das Ausgangsverständnis der folgenden Kapitel sinnvoll, den Überblick über die bisherigen Online-Aktivitäten niedersächsischer Tageszeitungsverlage im internationalen Kontext zu liefern.

 

Ausgangspunkt des Engagements niedersächsischer Zeitungsverlage im Online-Sektor war die Entwicklung des Themas „Online“ in den USA, das vor etwa sechs bis sieben Jahren über Großbritannien und Skandinavien auch in deutschen Verlagshäusern virulent wurde. Derzeit stellte sich noch die Frage, ob es für einen Zeitungsverlag überhaupt Sinn mache, in Online-Projekte zu investieren. Der damalige Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Wilhelm Sandmann, erklärte dazu beim Zeitungskongress 1994 in Bonn, dass die Verlage aus ökonomischen und publizistischen Gründen geradezu verpflichtet seien, im Internet aktiv zu werden, da sonst branchenfremde Wettbewerber dies übernehmen würden.[97]

 

Freilich konnten die Verlage und der BDZV niemanden daran hindern, ihnen im Internet Konkurrenz zu machen, dennoch kann man sagen, dass die Verlage trotz vieler neuer Konkurrenten mittlerweile im Online-Sektor Fuß gefasst haben. Dabei war es wohl weniger die Euphorie des Neuen, die sie antrieb, sondern eher Ängste und Abwehrstrategien, die ihr Handeln bestimmte.[98] So formulieren die niedersächsischen Zeitungsverleger sogar noch in ihrem 2000er Jahrbuch: „Das Internet scheint (...) für die etablierten, herkömmlichen Medien und Printmedien eine ernste Gefahr darzustellen.“[99]

 

Die Konkurrenz für die Verlage von Tageszeitungen formierte sich nicht nur in Gestalt anderer Medienanbieter, sondern auch in Gestalt von Kommunen und sog. „Garagenfirmen“, die mit wenig Aufwand Inhalte und Dienste online anbieten können.[100] Der große Unterschied zum Printgeschäft bezüglich Wettbewerb besteht für die Zeitungsverlage darin, dass ihre Printausgaben innerhalb der meisten Verbreitungsgebiete kaum Konkurrenz haben, im Netz hingegen alle verfügbaren Zeitungsangebote und sonstige Informationsdienste zu Konkurrenten werden. Der Internet-Auftritt einer kleinen niedersächsischen Tageszeitung muss sich folglich im grenzenlosen Netz dem Vergleich mit dem großen Wettbewerber stellen, der nur einen Mausklick entfernt ist.[101] Ein Pluspunkt, den Tageszeitungen im Online-Bereich allerdings aufweisen können, ist der Know-how-Vorsprung bei der medialen Aufbereitung von Inhalten.[102]

 

Auf lokaler Ebene sind es allen voran Kommunen, die teilweise ähnliche Online-Angebote bereitstellen wie Tageszeitungsverlage. Sie betätigen sich als Content-Provider (Inhalte-Anbieter), Access-Provider (Zugangsvermittlung zum Internet) sowie als Service-Provider für regionale Unternehmen und Institutionen (Erstellung von Internet-Auftritten). Den Verlagen ist gerade diese Konkurrenz ein Dorn im Auge, da sie sich fragen, ob es überhaupt zulässig ist, dass mit ihren Steuergeldern der Staat die Basis ihrer wirtschaftlichen Betätigung angreift.[103]

 

Ökonomisch ist das Online-Engagement niedersächsischer Verlage bisher eher von der Bemühung geprägt, Budgetanteile vor allem der Werbekunden von der Printausgabe nicht an fremde Online-Anbieter abzugeben. Als nennenswerte direkte Einnahmequelle konnte dagegen das Internet bislang nicht genutzt werden.

 

Zu Beginn der Entwicklung verlegerischer Online-Aktivitäten wurden die meisten Online-Angebote von Verlagen über kommerzielle Dienste wie AOL oder CompuServe vertrieben. Niedrige Investitionskosten, funktionierende Infrastruktur, Kundendienst und Inkasso waren hier die entscheidenden Vorteile. Im Zeitablauf merkten aber die Verleger, dass dem auch Nachteile gegenüber standen, die dazu führten, dass heute der weitaus größte Teil der Zeitungen seinen eigenen Internet-Auftritt hat. Eingeschränkte Möglichkeiten der Mitsprache und –gestaltung, fehlende Kundenbeziehungen und zudem nur die Aussicht auf einen Bruchteil der Vertriebs- und Werbeerlöse waren die Gründe für den individuellen Weg der Zeitungen ins Netz. Für die Zeitungen hätte ansonsten die Gefahr bestanden, auf den kommerziellen Plattformen neben diversen Diensten und E-Shopping-Möglichkeiten zu einer „Würstchenbude im Einkaufszentrum zu werden“, so die Einschätzung des Geschäftsführers des Beratungsunternehmens der Zeitungsbranche IFRA, Friedrich Burkhardt.[104]

 

2.3.2.2 Konzentration im Online-Sektor
 

Was die Konzentration im Online-Sektor in Bezug auf Niedersachsen betrifft, so gibt es bisher keine markanten Tendenzen. Wie oben geschildert haben Tageszeitungen im Internet i.d.R. mit diversen Konkurrenten der regionalen, lokalen aber auch nationalen Ebene zu kämpfen. Außerdem spricht einiges dafür, dass sich zukünftige Konzentrationsprozesse nicht unbedingt auf die gesamte Bandbreite von Geschäftsanwendungen des Online-Sektors erstrecken. Die Expansion der Tageszeitungen ins Internet dürfte sich wohl eher weitgehend innerhalb der angestammten Kompetenzhorizonte bewegen.[105] Dort jedoch sind Konzentrationsprozesse nicht unwahrscheinlich, da die Refinanzierungsmöglichkeiten für Online-Angebote momentan eher schlecht sind. Deshalb liegt es nahe, dass sich in bestimmten Angebotsbereichen jeweils ein oder wenige Anbieter durchsetzen können, die schließlich eine für die Werbefinanzierung ausreichende Frequentierung ihrer Website aufweisen..

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen von Online-Medien auf Tageszeitungen - Fallbeispiel Niedersachsen
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
79
Katalognummer
V185834
ISBN (eBook)
9783656982180
ISBN (Buch)
9783867467148
Dateigröße
1526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auswirkungen, online-medien, tageszeitungen, fallbeispiel, niedersachsen
Arbeit zitieren
Thorsten Kucklick (Autor:in), 2001, Auswirkungen von Online-Medien auf Tageszeitungen - Fallbeispiel Niedersachsen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185834

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Titel: Auswirkungen von Online-Medien auf Tageszeitungen - Fallbeispiel Niedersachsen



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