Selektiver Mutismus bei Kindern

Ursachen und Therapiemöglichkeiten


Studienarbeit, 2007

28 Seiten, Note: 1.4


Leseprobe


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1. Einleitung

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ 1 - jeder kennt dieses Sprichwort, aber meist wird es nur dann verwendet, wenn das Schweigen eines Menschen in bestimmten Situationen als wertvoller und angemessener als Reden angesehen wird.

Wie fühlen sich aber Eltern, Erzieher 2 oder Lehrer, wenn ein Kind plötzlich aus für die Erwachsenen nicht erkennbaren Gründen schweigt; Tage, Wochen oder sogar Monate mit bestimmten Personen kontinuierlich nicht redet, obwohl es eigentlich sprechen kann und dies im familiären Umfeld und mit ihm nahe stehenden und lang bekannten Freunden auch tut? Wie empfindet dieses Kind und was bewegt es dazu, nicht mehr zu sprechen? Sind es Angst, Wut oder negative Erfahrungen aus der Vergangenheit? Diese Fragen sind besonders schwer zu beantworten, da das Kind nicht redet und seine Empfindungen nicht mitteilt, obwohl seine Sprechorgane physiologisch intakt sind, sondern schweigt. Es schließt damit alle Probleme in sich ein und grenzt sich selbst aus dem sozialen Gefüge aus.

Hinzu kommt, dass dieses spezielle Störungsbild, das in der Fachsprache als selektiver Mutismus bezeichnet wird, bei Eltern und häufig selbst bei pädagogischen Fachkräften unzureichend oder gar nicht bekannt ist und somit oft Fehldiagnosen der Verhaltensursachen auftreten. Durch derartige Fehlinterpretationen des Schweigens wird das Kind zunächst als sehr schüchtern und zurückhaltend oder einfach nur trotzig empfunden. Bei länger andauerndem Ausgrenzen durch Nicht - Sprechen werden oftmals andere Störungen diagnostiziert, wie beispielsweise Autismus, was zu Therapieansätzen und Behandlungen führt, die dem Kind zur Überwindung seiner Störung wenig nützen, ja diese manchmal sogar verstärken. Die betroffenen Kinder werden dann häufig von Therapie zu Therapie weitergereicht, ohne jegliche Erfolge verzeichnen zu können. Daher ist es sehr wichtig, den selektiven Mutismus so früh wie möglich zu erkennen, um reale „Chancen für Rehabilitation und Therapieerfolg, die als Prävention vor der Pubertät von großer Bedeutung sind“ 3 , zu erlangen.

Die Komplexität und Vielschichtigkeit des konkreten Störungsbildes des selektiven Mutismus bedürfen Behandlungsformen, die das Kind in seinem gesamten sozialen

1 Sprichwort

2 Die Verwendung der männlichen Form bei der Bezeichnung von Berufsgruppen und anderen Personen-

kreisen schließt in der gesamten Arbeit weibliche Personen mit ein.

3 KATZ-BERNSTEIN 2005, 12

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2. Ursachen und Erscheinungsbilder des selektiven Mutismus

2.1 Definition und Äußerungsformen

Das Wort Mutismus stammt von mutus (lat.) und bedeutet Schweigen. Allgemein beschreibt Mutismus Erscheinungen bei Menschen, die durch Nichtsprechen auffallen; differenzierter bedeutet dies das vollständige oder partielle Schweigen von Menschen, die über eine abgeschlossene Sprachentwicklung sowie über eine physiologische Funktion der Sprechorgane verfügen. 4

In der Fachliteratur lassen sich zahlreiche Klassifikationen von Mutismus finden. Neben dem totalen Mutismus existiert demnach eine weitere, häufiger auftretende Form, nämlich die des selektiven Mutismus, d.h. die Form des partiellen Schweigens. Beim selektiven Mutismus handelt es sich um eine Störung der sprachlichen Kommunikation, die durch emotionale und psychosoziale Einflüsse bedingt ist und sich im Nicht-Sprechen eines Menschen in bestimmten Situationen, also an bestimmten Orten oder gegenüber bestimmten Personengruppen äußert. Dieses Störungsbild taucht am häufigsten bei Kindern im Vor- und Grundschulalter auf. Hierbei wird je nach Alter, in dem sich das Phänomen erstmals äußert, in Frühmutismus (vier bis sechs Jahre) und Spätmutismus (sechs bis acht Jahre) unterschieden. Insgesamt zeigt sich die seltene und oft unbekannte Kommunikationsstörung bei ein bis zwei von 1000 Vorschul- und Schulkindern, wobei Jungen nur etwa halb so häufig wie Mädchen betroffen sind. 5 Demnach ist zu erkennen, dass die Störung meist dann auftritt, wenn Kinder in eine für sie unbekannte Situation gelangen und mit fremden Menschen in Kontakt treten müssen. In diesen Fällen ist das Verhalten der Kinder dadurch geprägt, dass sie zwar im heimischen Umfeld der Familie sprechen, doch in der Schule oder bei Freunden keinen Laut von sich geben. Oftmals sind mutistische Kinder gegenüber ihren Eltern sogar sehr gesprächsfreudig und kommunikativ, sobald aber eine unbekannte Person hinzukommt, schweigen sie. Das Kind zieht also starre Grenzen zwischen ‚fremd’ und ‚vertraut’ und verhindert somit seinen eigenen sozialen Lernprozess, da es keine neuen Bekanntschaften knüpfen kann. Durch diese Abgrenzung fehlen ihm die für die eigene Entwicklung wichtigen Kontakte zu Lehrpersonen und bestimmten Peer-Gruppen, die für die allmähliche Ablösung vom Elternhaus wichtig

4 vgl. BAHR 1996, 19

5 vgl. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mutismus&printable=yes

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2.2 Entstehung des selektiven Mutismus im Kindesalter

Wie im vorigen Punkt bereits erläutert, betrifft selektiver Mutismus zumeist Kinder im Vorschul- und Grundschulalter, die generell des Sprechens mächtig sind. Es können somit eindeutig bestimmbare organische Ursachen für das Schweigen ausgeschlossen werden. Daher soll im Folgenden dargestellt werden, was die Gründe und Auslöser für die Entstehung dieses Störungsbildes sein können. Allgemein kann festgestellt werden, dass es kein homogenes Störungsbild gibt, sondern dass der selektive Mutismus ein heterogener Zustand mit einigen möglichen Ursachen ist. Diese Ursachen liegen oft im familiären Umfeld, das die soziale Entwicklung des Kindes in einer Weise beeinflusst oder hemmt, sodass Schweigen von dem Kind als eine Bewältigungsstrategie angesehen wird, um diese Störungen und Fehlentwicklungen auszugleichen. Des Weiteren können eine angeborene Schüchternheit beziehungsweise Gehemmtheit des Kindes oder verschiedene Ängste eine Rolle spielen. Eher selten auftretende Ursachen für selektiven Mutismus sind Traumata. Die verschiedenen Studien führten aber bis heute noch nicht zu einer allgemeingültigen Einigkeit über konkrete diagnostische Kriterien hinsichtlich des Störungsbildes. Ein Vergleich empirischer Daten ist daher schwierig.

Im Folgenden sollen mögliche Klassifikationen und Ursachen dargestellt werden.

2.2.1 Einteilung des Mutismus nach HAYDEN

Wie oben bereits erwähnt, erläutert BAHR den selektiven Mutismus nach einer Unterteilung in vier verschiedene Kategorien nach HAYDEN 9 .

Der reaktive Mutismus beschreibt hierbei Schweigen als eine Reaktion auf einzelne oder mehrere traumatische Ereignisse, wie zum Beispiel sexueller Missbrauch, Todesfälle nahe stehender Menschen oder Verletzungen im Mund und Rachenraum während des Erlernens der Sprache. Diese Kinder verweigern oft jede Art von Mimik und Gestik, scheinen, als trügen sie eine Maske und sind stark in sich zurückgezogen. Sie zeigen verstärkt Anzeichen von Depressionen und neigen in späteren Jahren zu Suizid und Drogenabhängigkeit. „Entsprechend der Zurückgezogenheit ist das Sozialverhalten einschließlich des sozialen Spiels dieser Kinder verarmt.“ 10

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Selektiver Mutismus bei Kindern
Untertitel
Ursachen und Therapiemöglichkeiten
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen, früher: Berufsakademie Villingen-Schwenningen
Note
1.4
Autor
Jahr
2007
Seiten
28
Katalognummer
V186342
ISBN (eBook)
9783869437651
ISBN (Buch)
9783656993445
Dateigröße
634 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selektiver, mutismus, kindern, ursachen, therapiemöglichkeiten
Arbeit zitieren
Sebastian Scholze (Autor:in), 2007, Selektiver Mutismus bei Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186342

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